Die Tochter der Suendenheilerin
gehörte den Leichtfertigen aus dem gemeinen Volk und den Dirnen. Damit die Ordnung dennoch aufrechterhalten blieb, waren mehrere Waffenknechte des Herzogs von Halberstadt im Gedränge unterwegs, um notfalls sofort einschreiten zu können. Aber an diesem Abend herrschte eine friedliche Stimmung. Der Zorn schien auf dem Turnierfeld geblieben zu sein.
»Oh, sieh nur! Dort vorn tanzen sie eine Schiarazula.« Sibylla deutete in die Richtung, aus der die Musik kam.
»Sollen wir uns anschließen?«
»Ja.« Sibyllas Augen glänzten. »Ich mag diesen Wettkampf zwischen Musikern und Tänzern, wenn die Musik immer schneller wird und nur die Besten mithalten können.«
»Was dann zweifelsohne wir beide sein werden.«
»Ist das wieder dein Feuer?« Sie blinzelte ihm neckisch zu.
»Es glimmt noch«, gestand er. »Aber nicht mehr so schlimm, dass ich in halsbrecherischer Höhe aus einem Fenster steige.«
»Ich habe mir damals große Sorgen um dich gemacht.«
»Ich weiß.« Er seufzte leise. »Aber ich kann dann nicht anders. Ein Gedanke schießt mir wie ein Pfeil in den Kopf, ich halte mich für unbesiegbar und handle, ohne nachzudenken. Das ist mein Fluch.«
Sie erreichten die Tanzfläche und warteten, bis der erste Tanz vorüber war. Die Musiker hatten den Wettkampf gegen die Tänzer für sich entschieden.
»Wollt Ihr noch mehr?«, rief einer der Barden. Ein vielstimmiges »Ja!«, lautete die Antwort aus zahlreichen Kehlen. Weitere Paare schlossen sich dem Kreis an, und auch Rudolf und Sibylla reihten sich ein. Im Schein des Feuers erschien Sibylla ihm wie ein reiner Engel. Er wusste, er würde alles für sie wagen, um sie so bald wie möglich als sein Weib heimführen zu dürfen. Die Musik begann ganz langsam. Noch war es einfach, die beiden Schritte nach rechts und links zu tun, sich dann der Partnerin zuzuwenden und zweimal in die Hände zu klatschen. Aber die Musik wurde immer schneller. Rudolf und Sibylla hielten den Takt. Auch die anderen Tänzer im Kreis, überwiegend junge Leute aus den umliegenden Dörfern, blieben der Schrittfolge treu. Rudolf hörte Sibyllas Lachen, ihren heftigen Atem, als der Rhythmus sich steigerte. Erstaunlich, dass noch keine Lautensaite gerissen war und dem Sackpfeifer die Luft nicht ausging! Da, ein falscher Ton, und sofort brachen die Tänzer in Gelächter aus.
»Wir haben gewonnen!«, rief Sibylla und fiel Rudolf begeistert um den Hals, als wäre sie ein einfaches Dorfmädchen, das sich mit dem Liebsten traf. »Das war wundervoll«, flüsterte sie, während sie sich von ihm in den Armen halten ließ.
»So wundervoll wie du«, flüsterte er zurück. Dann zog er sie aus dem Licht hinter einen der Marktstände und küsste sie.
»Wenn das Turnier vorüber ist, werde ich deinen Vater um deine Hand bitten.«
»Und wenn er Nein sagt?«
»Dann drohe ich ihm, mit dir durchzubrennen. Notfalls bis ans Ende der Welt. Ich habe schließlich Verwandte in Ägypten.« Er zwinkerte ihr zu.
»Ich folge dir überallhin. Auch ans Ende der Welt.« Sie küsste ihn wieder.
»Oho, Rudolf, verbrüderst du dich mit dem Feind?«
Rudolf ließ Sibylla los und fuhr herum. »Alexander, musst du dich so anschleichen?«
»Ich bin nicht geschlichen.« Er lächelte. »Meine Verehrung, Fräulein Sibylla.« Er deutete eine leichte Verbeugung an.
Rudolf sah, wie Sibylla errötete.
»Nun, da du deine Artigkeiten losgeworden bist, könntest du uns wieder allein lassen. Oder langweilst du dich, weil du keine passende Begleitung gefunden hast?«
»Ich bin mit Karim und Donatus hier.« Er wies auf eine Trinkbude, an der die beiden sich soeben ein Bier ausschenken ließen.
»Dann lass sie nicht zu lange warten!«
»Schon gut.« Alexander lachte gutmütig. »Ihr beide habt heute alle in Erstaunen versetzt. Wie kann man der Tochter des Fehdegegners die Lanze darbieten, um in ihren Farben zu kämpfen?«
»Ich kämpfe für den Besitz meiner Familie, aber für die Ehre der Frau, die ich liebe. Und ganz gleich, wie das Turnier ausgehen mag, mit seinem Ende ist auch diese Fehde vorüber. Warum soll ich da nicht zu der Frau stehen, die ich zu heiraten gedenke?«
»Auf die Brautwerbung bin ich gespannt. Wer weiß, ob Eberhard dann nicht uns die Fehde erklärt?« Er klopfte Rudolf auf die Schulter und ließ das Paar allein.
Die Musik spielte wieder auf.
»Sollen wir noch ein Tänzchen wagen?«, fragte Rudolf.
»Nur eins?« Sibyllas Augen blitzten.
»Nun gut, dann machen wir weiter, bis die Spielleute erschöpft
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