Die Tochter der Suendenheilerin
gebt, dass Ihr meine Milde nicht für unsinnige Fluchtversuche missbraucht.«
Rudolf zögerte kurz, dann nickte er. »Ihr habt mein Wort, dass ich Eure Milde nicht für unsinnige Fluchtversuche missbrauche.«
Zwischen Meinolfs Brauen hatte sich eine scharfe Falte gebildet.
»Ihr wollt mit den Worten spielen, nicht wahr? Ihr gebt meinem Vater Euer Versprechen mit einer Einschränkung.«
»Was meint Ihr damit, Herr Meinolf? Ich habe nur die Worte Eures Vaters wiederholt.«
»Versprecht uns bei Eurer Ehre, dass Ihr überhaupt keinen Fluchtversuch unternehmt, ja, mehr noch, dass Euch jeder Gedanke an Flucht fern ist.«
»Und was kann ich dafür als Gegenleistung erwarten? Bewegungsfreiheit in der Burg?«
Wieder Schweigen. Schließlich nickte Ulf. »Ich gestatte Euch, die Kammer zu verlassen. Unten im Turm befindet sich eine Wachstube, die ist Tag und Nacht besetzt. Wenn Ihr den Turm verlassen wollt, habt Ihr den Wächtern zu melden, wohin Ihr Euch wendet. Aber solltet Ihr auch nur ein einziges Mal eine falsche Auskunft geben, lernt Ihr unseren Kerker kennen. Und glaubt mir, der ist wahrlich kein angenehmer Aufenthaltsort. Reicht Euch das?«
Rudolf nickte.
»Dann schwört es!«, verlangte Meinolf.
»Ich gebe Euch bei meiner Ehre mein Wort, dass ich nicht fliehen werde.«
Ulf und Meinolf zeigten zufriedene Gesichter, doch Eberhard hatte das dumpfe Gefühl, sie hätten irgendetwas übersehen. Der Schwur war dem Birkenfelder zu rasch und zu glatt über die Lippen gekommen.
»Was ist mit Eurer Schwester?«, fragte er. »Schwört Ihr auch für sie?«
Rudolf hob erstaunt den Blick. »Glaubt Ihr wirklich, eine Elfjährige könne von hier fliehen und würde dann auch noch sicher nach Birkenfeld zurückgelangen?«
»Wenn Ihr dem Mädchen zur Flucht verhelft.«
»Ich habe Euch gerade mein Wort gegeben, nicht zu fliehen. Meint Ihr, ich würde es Meret zumuten, allein durch finstere Wälder zu reiten?«
Eberhard nickte leicht. Rudolfs Empörung schien echt zu sein. Dennoch blieb er misstrauisch. Und sei es nur, weil ihn Meinolfs selbstgefällige Miene zur Weißglut trieb.
9. Kapitel
N icht einmal die geschmückten Wagen und der prächtige Pfingstochse v ermochten darüber hinwegzutäuschen, dass dieses Pfingstfest das traurigste war, das Antonia jemals erlebt hatte. Wie jedes Jahr besuchte die gräfliche Familie den Pfingstgottesdienst in Alvelingeroth, dem größten der Dörfer, über die Burg Birkenfeld wachte. Pater Justus zelebrierte die heilige Messe, doch während in seinen Predigten für gewöhnlich ein humorvoller Unterton mitschwang, ließen seine Worte diesmal jegliche Heiterkeit vermissen. Alle Bewohner von Alvelingeroth wussten von dem Bubenstück der Regensteiner. Und jeder spürte, dass der Graf von Birkenfeld diese doppelte Demütigung nicht so einfach hinnehmen durfte. Pater Justus mahnte zur Besonnenheit, doch zugleich beschwor er Feuer und Schwefel über das Haupt der frevlerischen Regensteiner. Während der Messe linste Antonia immer wieder zu ihrem V ater hinüber, betrachtete seine unbewegte Miene. Niemals zuvor hatte sie ihn so gesehen – ohne das leiseste Lächeln in den Augen, nahezu versteinert. Unwillkürlich schweiften Antonias Gedanken ausgerechnet zu Stephan von Cattenstedt. Niemand hatte ihn seit der Rückkehr vom Kreuzzug jemals lächeln sehen. Wie konnte ein Menschen innerlich derart versteinern? Und warum beschäftigte er sie immer wieder? Vergeblich versuchte sie, sein Bild aus ihren Gedanken zu v erbannen, um sich ganz dem Gottesdienst hinzugeben.
Die gedrückte Stimmung wollte während des ganzen Pfingstsonntags nicht weichen. Als zum Mittagsmahl der zubereitete Rehbock aufgetragen wurde, den Rudolf erlegt hatte, blieb Antonia der Bissen im Hals stecken. Sie erinnerte sich, wie fröhlich er vor zwei Tagen gewesen war. An jenem Abend, als die Welt noch in Ordnung gewesen war. Es kam ihr vor, als wären Jahrhunderte vergangen. Behandelten die Regensteiner ihre Geiseln so, wie es der Sitte entsprach? Mit Achtung und Höflichkeit? Oder nahmen sie nicht einmal darauf Rücksicht? Antonia wurde die Kehle eng. Hätte sie sich in Halberstadt bei Eberhard von Regensteins plumper Annäherung gleich abgewandt, wäre alles anders gekommen. Aber es hatte ihr gefallen, ihm stark entgegenzutreten, seiner Unverschämtheit die passende Antwort zu erteilen.
Ihr Vater bemerkte, dass sie kaum aß, und zog daraus die richtigen Schlüsse. »Du trägst keine Schuld an dem Unglück«, sagte er.
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