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Die Tochter der Tibeterin

Die Tochter der Tibeterin

Titel: Die Tochter der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gleichzeitig ist sie ein Stück von Chodonla. Und auch ein Stück von dir.«
    »Und gleichzeitig ist sie Chinesin.«
    Seine Augen glitzerten hart.
    »Ja, das erschwert die ganze Sache.«
    »Welche Sache?«
    Er schüttelte den Kopf, langsam und nachdrücklich, als ob er die schweren Gedanken, die ihn belasteten, nicht preisgeben konnte.
    »Ich denke, du musst es um ihretwillen tun, auch wenn es dir schwerfällt. Ich wollte dir schon die ganze Zeit sagen… «
    Er schwieg. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust. Ich starrte ihn an, wartete, dass er weitersprach.
    »Was ist, Atan? Was wolltest du mir sagen?«
    Er saß eine Weile stumm da. Ich dachte, das muss etwas Ernstes sein. Und wenn er nicht reden wollte, wozu dann all das Brüten?
    »Nichts«, sagte er schließlich. »Kindereien, sie erzählt Kindereien, nichts anderes.«
    »Du meinst, da ist etwas, das sie sich einbildet?«
    »Vielleicht. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Aber das geht vorbei. Wirst du gut auf sie aufpassen?«
    »Wie auf meine eigene Tochter.«
    »Sie wird sich vielleicht nicht eingewöhnen können.«
    »Jeder Mensch gewöhnt sich ein. Selbst wenn man denkt, es ist nicht möglich. Tag für Tag ein bisschen… «
    »Es könnte mühsam werden.«
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    »Ein bisschen mühsamer, als wir es uns vorgestellt haben.«
    Tag für Tag ein bisschen, dachte ich, ja, so würde es gehen. Ich würde ihn nicht vergessen, das nicht, aber nicht mehr auf ihn warten.
    »Hast du daran gedacht, dass wir uns vielleicht nie wiedersehen werden?«
    Er nickte ruhig, die Augen auf mich gerichtet.
    »Ja, auch daran habe ich gedacht. Außer vielleicht, eines Tages, ein besonderes Ereignis… «
    »Was für ein Ereignis?«
    »Tibet wird unabhängig, zum Beispiel.«
    Wir lächelten beide, aber es war ein bitteres Lächeln.
    »Und sonst?«, fragte ich. »Nehmen wir mal an, etwas geschieht.
    Ich brauche einen Rat von dir, oder deine Hilfe. Ich weiß, du hast keinen Grund, etwas für mich zu tun…«
    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Nein?«
    »Wo finde ich dich?«
    Er nahm eine Zigarette, steckte sie in den Mund.
    »Willst du auch eine?«
    Ich verneinte. Mir war, als wiederholten wir eine Szene von früher, ein ähnliches Gespräch.
    »In Kham«, sagte er, »da kennen mich die Leute. Und im Kloster von Lithang kann dir der Abt, Sherab Rimpoche, Auskunft geben.
    Für gewöhnlich weiß der Heilige Lama, wo ich mich so herumtreibe.
    Sollte ich dann noch am Leben sein«, setzte er ironisch hinzu.
    Ich sagte gepresst:
    »Ich möchte lieber nicht daran denken.«
    Er rauchte versonnen.
    »Es ist höchst unwahrscheinlich, dass China die Umklammerung lockert. Das würde das Fundament ihres harmonischen Vielvölkerstaates ‹ zerstören und der Weltöffentlichkeit gegenüber einen gewaltigen Gesichtsverlust bedeuten. China wird – ist schon –
    eine Supermacht. Selbst wenn ganz Tibet auf die Barrikaden geht, ist eine Separation aussichtslos.«
    »Und was bleibt dir?«
    »Mir? Nicht viel. Aber Beijing weiß sehr wohl, dass man uns ausrotten muss, um unseren Gehorsam zu erzwingen. Und solange uns die Volksrepublik die Anerkennung verweigert – und solange meine Kräfte es zulassen, werde ich kämpfen.«
    »Das ist unvernünftig emotional, Atan. Und gefährlich.«
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    Er bestritt es nicht.
    »Es heißt, Nationalismus sei anachronistisch. Lügen sind auch anachronistisch, und sie lügen uns ständig was vor. Aber sie können uns nicht brechen. Man sagt, wir seien ein tapferes Volk, und das hören wir gerne. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass unser Glauben doch noch funktioniert.«
    Ich blickte ihn an und hatte das Gefühl, dass ich ihn nicht mehr so sah, wie ich ihn bisher gesehen hatte. Früher war ich töricht genug gewesen, mich in sentimentale Phantasien zu verlieren. Glaubte ich denn im Ernst, dass für uns eine gemeinsame Zukunft möglich war?
    Er war ein Abenteurer, ein Krieger, der Überlebende einer vergangenen Zeit. Nein, nicht einmal das, gab ich verzweifelt zu, er war nicht viel mehr als ein Geist: der Geist des alten Tibet…
    »Ich wollte so gerne«, sagte ich, »dass diese Zeit unseres Lebens, diese Zeit hier in Nepal, noch andauert. Ich tue, was ich kann. Aber sie ist schon vorbei.«
    »Ich hatte nicht geglaubt«, erwiderte er dumpf, »dass es so bald kommen würde.«
    Ich wandte mein Gesicht ab, hielt die Tränen zurück.
    »Vielleicht schaffen wir es«, sagte ich, »dass wir uns damit abfinden können. Aus der Entfernung geht es leichter, meinst du

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