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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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barfuß zwischen Steinen und über raues Gras ging, bis ich das kleine flache Boot mit einem Stock zum Staken fand. Schwester, o Schwester. Wohin gehst du? Wann wirst du zurückkehren? Ichstieß den Stock in den Sand, schob das Boot hinaus in die Strömung, und das Wasser trug mich davon.

KAPITEL 7
    Hätte ich in jenem Augenblick noch die geringste Willenskraft gehabt, hätte ich Padraics Rat befolgt und wäre am Ufer des Sees geblieben, dicht unter den Trauerweiden, bis ich relative Sicherheit erreicht hatte. Ich dachte halb betäubt, die Herrin hätte dies geplant und mich weitergeschickt, damit ich beschützt meiner Arbeit nachgehen konnte. Aber ich hatte nicht die Energie, das Boot zu steuern. Mir war schwindelig vor Hunger, und ich war vermutlich krank; das leichte Schaukeln des Bootes fühlte sich seltsam an, das Wasser war aufgewühlt, und das Schwanken der Bäume, an denen ich vorbeitrieb, ließ mich noch schwindeliger werden. Ich spürte, wie andere Hände das kleine Gefährt auf einen Weg führten, der nicht meine Wahl war.
    Die Waldsylphen verklangen bald, und in den Wellen und dem Gurgeln des Seewassers erhoben sich andere Stimmen, flüchtig, ausweichend, sie murmelten einander zu, während ihre Besitzer mein kleines Boot rasch – zu rasch – auf das immer wilder werdende Wasser hinaustrugen. Ich blinzelte und starrte und fragte mich, wie viel Wirklichkeit und wie viel fiebrige Vision war. Es waren lange, bleiche Hände im Wasser und Gesichter mit weit auseinander stehenden Augen und Haar wie Wasserpflanzen, grau und grün und blau. Es gab Schwänze mit juwelenschimmernden Schuppen. »Eilt euch, eilt euch«, sangen sie einander zu. »Es ist Zeit.«
    Und so bewegte sich das Boot schneller und schneller, wie auf einem schnellfließenden Fluss. Am Himmel über mir sammelten sich schwere Wolken, und es wurde dunkel. Fette Regentropfen trafen mich, in der Ferne war Donnergrollen zu hören. Der kleine Teil von mir, der noch wach war, bemerkte all diese Dinge, und dass ich allein inmitten einer großen Wasserfläche war, barfuß in meinem alten Kleid, in einem Boot, das nur für seichte, friedliche Gewässer gedacht war. Der Wind wurde stärker, und das kleine Gefährt schaukelte auf und nieder.
    Wellen spritzten über die Seiten und durchtränkten mich bald bis zur Taille. Aber mir war nicht kalt; stattdessen war ich glühend heiß, und ich hörte ihre Stimmen rufen, ringsumher, unter, hinter und vor mir, im dunkler werdenden Wasser. »Es ist so einfach, so einfach, Sorcha. Lass dich hinübergleiten, einfach über die Seite des Bootes, und komm zu uns. Es ist kühl hier unter dem Wasser. Komm zu uns herunter.« Und eine andere: »Komm mit, komm mit nach unten. Sag Lebewohl zu deinem Schmerz, lass das Wasser den Schmerz wegwaschen. Komm, lass dich vom Wasser leiten. Komm und tanz mit uns in der Tiefe.« Ihre Stimmen waren liebevoll und verlockend. Ich wollte das kühle Wasser auf meiner brennenden Stirn spüren, wollte schlafen und vergessen. Es wäre so einfach, mich über die Seite zu beugen, ins Wasser zu gleiten und weg von allem. »Wirf mir dein Bündel zu! Wirf es her! Lass mich deine Last tragen!« Ich sah, wie sich lange Finger nach oben streckten, auf mich zu, und ich erwachte und klammerte die Tasche fest an meine Brust, ungeachtet der Stacheln der Mierenfasern. Nein. Das werde ich nicht tun. Dann hörte ich sie lachen, hohe Stimmen, tiefe Stimmen, und das Platschen ihrer Schwänze, während sie sich wild ums Boot bewegten. Und dann waren sie weg und überließen mich Wind und Wasser.
    Ich bin an diesem Abend wohl fast ertrunken. Aber ich war müde und krank, und zu diesem Zeitpunkt schien die Gefahr mir unwichtig. Nach einiger Zeit wurde der Himmel dunkel, und Blitze zerrissen diese Dunkelheit wie große weiße Speere, die mit gewaltiger Kraft in die Erde gestoßen wurden. Regen peitschte über mich hinweg, und das Boot war halb mit Wasser gefüllt. Ich hielt mich mit beiden Händen fest, um das Gleichgewicht zu halten, und wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bevor das Boot sinken würde. Ich wusste auch, dass ich im Wasser nicht lange überleben würde. Der See war längst zu einem rasch fließenden Fluss geworden, und das Ufer lag nun näher; ein Blitz beleuchtete Felswände und niedriges Gebüsch. Wir waren über den Wald hinaus in offenerem Land. Hier und da konnte ich Lücken in den Felsen und kleine Stücke von Ufer sehen, wo es vielleicht möglich gewesen wäre, an Land zu kriechen,

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