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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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zugeben, dass es eine Zeitverschwendung war. Und jetzt verschwenden wir unsere einzige Chance zur Flucht wegen eines einfältigen Mädchens. Das ist das letzte Mal, dass du mich in so etwas hineingezogen hast.«
    »Jetzt redest du so«, meinte John, »aber wenn er dich beim nächsten Mal fragt, gehst du wieder mit. Und jetzt sei still.«
    Und während sie sich stritten, gelang es mir, mein durchtränktes Kleid auszuziehen, die trockenen Sachen überzuziehen und das riesige Hemd so gut wie möglich um meine Taille zu binden. Der Gürtel ließ sich zweimal um mich herumwickeln und war immer noch locker.
    Der Streit schien zum Ende zu kommen. Die drei drehten sich um und betrachteten mich forschend, als ich schaudernd am winzigen Feuer saß. Auf der Miene des älteren Mannes lag eine Spur von Lächeln, als er mich betrachtete. Ich nehme an, ich sah ziemlich seltsam aus.
    »So weit, so gut«, sagte der Rote, dessen Miene nichts verriet. »Nimm auch den Umhang da.« Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich ihn verstand. Er griff nach dem Umhang und legte ihn mir über die Schulter. Ich zuckte zusammen, als er näher kam, aber die Wärme war willkommen, und ich zog den Stoff um mich.
    »Gut«, sagte er. »Jetzt ruh dich aus. Ruh dich aus.« Er zeigte auf den Boden am Feuer und legte den Kopf auf seine Hände. Das schien plötzlich eine sehr vernünftige Idee. Ich legte mich hin, immer noch schaudernd, und fiel bald in einen fiebrigen Halbschlaf, in dem ihre leisen Stimmen immer wieder zu mir drangen.
    »Du bist verrückt, Roter. Wir haben weniger als einen Tag, um zum Boot zu gelangen. Was sollen wir mit ihr machen?« Das war Ben, der am Ufer die Laterne gehalten hatte.
    »Jedenfalls hat er sie nicht ersaufen lassen«, sagte John. »Morgen früh können wir ihr eine Decke dalassen.«
    »Ich frage mich, was sie da wohl gemacht hat. Ziemlich schlechtes Wetter zum Fischen«, meinte Ben.
    »Es sind seltsame Leute«, erwiderte der ältere Mann. »Ich habe gehört, dass sie manchmal Leute einfach zur Strafe in einem Boot aussetzen. Vielleicht hat dieses Mädchen jemanden beleidigt.«
    »Sie wäre ertrunken.«
    Der, den sie den Roten nannten, schien kein Mann vieler Worte zu sein. Nun sprach er leiser als seine Begleiter. »Sie hat Fieber. Und sie ist zu Tode verängstigt.«
    »Nun, was auch sonst?« fragte Ben. »Sie ist eine von ihnen, nicht wahr? Also sind wir ihre Feinde. Vielleicht erwartet sie, dass wir sie so behandeln, wie ihre eigenen Leute mit denen umspringen, die sie nicht mögen.«
    »Sie hat noch kein Wort gesagt«, erklärte John. »Und kein Geräusch von sich gegeben. Vielleicht ist sie weniger einfältig als stumm oder taub. Sie sieht halb wild aus. Es kann sein, dass ihre Leute sie verstoßen haben, weil sie nicht hören oder sprechen kann. Ich würde mir um sie nicht so viele Gedanken machen, Roter. Du hast eine gute Tat getan. Sie wird sich schon wieder erholen.«
    Sie schwiegen eine Weile. Dann teilten sie eine Flasche Wasser und ein paar Streifen Trockenfleisch und gaben auch mir etwas davon, aber ich konnte das salzige Fleisch nicht anrühren und trank nur einen Schluck oder zwei aus dem Becher. Dann meldete sich der Rote freiwillig für die Wache, und sie löschten die Laterne. Sie kamen mir vor wie Männer, die lange unterwegs waren und wussten, wie man ein ordentliches Lager führt. Aber meine Anwesenheit dort brachte alles durcheinander.
    ***
    Ich musste tatsächlich längere Zeit geschlafen haben und erwachte abrupt kurz vor der Dämmerung von einem namenlosen Traum. Selbst in meinem Schlaf machte ich kein Geräusch oder sprach nicht, aber der Brite sah, wie ich zusammenzuckte und mich aufsetzte. Ich nehme an, man sah meinem Gesicht die Dämonen an, die noch am Rand meines Bewusstseins lauerten. Er saß ganz still im Schein des verbleibenden Feuers und beobachtete mich. Nun konnte ich sehen, wieso man ihn den Roten nannte. Sein Haar war gnadenlos kurzgeschoren, aber sowohl das Kopfhaar als auch der ein paar Tage alte Stoppelbart hatten im Licht des Feuers das helle Rotgold der Herbstsonne auf Eichenblättern. Sein Gesicht war furchterregend, obwohl er noch jung war, kaum älter als Liam. Er hatte eine lange, gerade Nase, ein festes Kinn, einen breiten Mund und schmale Lippen. Kein Mann, den man sich zum Feind wünschte. In einiger Entfernung schliefen seine beiden Begleiter immer noch in Decken gewickelt. Es sah so aus, als hätte er mehr als eine Wache übernommen, um sie ruhen zu lassen. Der

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