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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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hochgewachsen und ging mit leichtem Hinken. Er ließ sich an der Mauer am anderen Ende des Gartens nieder, entspannt, aber aufmerksam, ein Bein ausgestreckt, im Schatten kaum mehr zu sehen.
    Ich wusste nicht, ob ich mich besser oder schlechter fühlte, da ich nun wusste, dass ich bewacht wurde. Was glaubten sie wohl, wohin ich fliehen könnte, hier, mitten in ihrem Land, ohne auch nur ein Paar Stiefel oder eine Wasserflasche? Und nach dem Empfang, den ich bisher in Harrowfield erhalten hatte, war es unwahrscheinlich, dass mir hier jemand helfen würde, zur Küste zu gelangen. Und was sollte ich dann tun? Nach Hause schwimmen? Nein, ich saß hier fest, ob es mir gefiel oder nicht. Wieso also die Wache?
    Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob diese Männer jemals schliefen. Dann erinnerte ich mich daran, wie der Rote in der Höhle gelegen hatte, sein Gesicht bleich vor Schmerz und Erschöpfung. Er war auch nur ein Mensch, dachte ich; er wollte einfach nicht, dass andere es erfuhren. Und es schien, als legte er großen Wert auf das, was ich ihm sagen könnte; er würde dafür sorgen, dass ich ihm vorher nicht entfloh.
    Sie standen früh auf, aber nicht so früh wie ich. Schon vor der Morgendämmerung war ich wach, wusch mir mit Wasser das Gesicht, öffnete die Tür nach draußen und ging in den vernachlässigten Garten hinaus. Die kleine Alys folgte mir, aber nur langsam, denn ihre Gelenke waren alterssteif. Irgendjemand hatte diesen Garten einmal gut angelegt. Aber es gab keine Mieren; später, wenn ich mehr brauchen würde, musste ich mich woanders umsehen. Ich verfluchte mich dafür, wie sehr ich meine Aufgabe vernachlässigt hatte, bevor ich den Wald verließ. Es gab einen alten Wassertrog unter den Büschen, der halb voller Schlamm war. Den konnte ich benutzen, um die Pflanzen einzuweichen, die ich aus dem Kloster mitgebracht hatte. Es gab hier immer noch viele Kräuter; genug, damit ich, wenn ich mich um sie kümmerte, einen guten Vorrat von Salben und Tinkturen anlegen konnte. Ich fragte mich, ob sie mir wohl einen Mörser und Stößel geben würden, ein paar Messer, Bienenwachs und Öl. Dann dachte ich, dafür ist keine Zeit. Was ist mit Finbar, mit Conor und den anderen? Die Zeit vergeht rasch für sie, und es ist bereits Herbst. Dennoch, als Megan zu mir kam, war ich bereits damit beschäftigt, Unkraut zu jäten, die neu ausgesäten Kinder der ins Kraut geschossenen Pflanzen voneinander zu trennen und zu planen, wie ich graben und pflanzen könnte. Ich hatte beinahe vergessen, wo ich war. Die nächtlichen Wachtposten waren mit dem ersten Tageslicht verschwunden.
    ***
    Die Haltung der Menschen von Harrowfield mir gegenüber könnte wohl am besten als eisige Höflichkeit beschrieben werden. Lady Anne gab ihnen darin das beste Beispiel. Es war nicht zu leugnen, dass ihr Sohn, das Oberhaupt des Haushalts, erwartete, dass man sich nach ihm richtete, und selbst sie stellte das nicht offen in Frage. Aber sie sprach nur mit mir, wenn die Umstände es unumgänglich machten. Wenn sie mich ansah, war die Feindseligkeit in ihren hellblauen Augen kaum zu verbergen. Sie sorgte für mich, aber nur so weit es grundsätzliche Gastfreundlichkeit verlangte. Nun, ich hatte kein Bedürfnis nach hübschen Kleidern, nach Weizenbrot oder einer Daunendecke. So sagte ich mir jedenfalls, und das entsprach auch der Wahrheit.
    Es war ihre Gesellschaft, die schwer zu ertragen war. Ich war lange Zeit allein gewesen, von jenen kostbaren Nächten abgesehen, in denen meine Brüder menschliche Gestalt annahmen und in denen wir wieder von Geist zu Geist sprechen, einander berühren und ansehen und Erinnerungen für die lange, einsame Zeit sammeln konnten. Nun war ich umgeben von Frauen – Frauen, die ununterbrochen miteinander schwatzten, die ständig anwesend waren, die in meine Gedanken einbrachen, meine Arbeit schwieriger, langsamer und schmerzlicher machten. Denn ich musste mich doppelt anstrengen, mich zu erinnern, warum ich dort war und was ich zu tun hatte. Und dann diese Blicke – die Seitenblicke, die so verbittert waren und voller Angst. Ich war der Feind; es war gleich, was Lord Hugh gesagt hatte, denn der lang gestreckte sonnige Raum, in dem wir uns morgens zum Nähen und Spinnen und Weben trafen, war der Platz der Frauen, und ich las in den Gesichtern der Frauen, was sie von mir hielten.
    Ich bin die Tochter des Waldes, sagte ich mir, wenn ich die langen, stacheligen Mierenstiele aus meiner Tasche zog und zu spinnen begann,

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