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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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mit einem geliehenen Spinnrocken und einer Spindel. Ich bin die Tochter von Lord Colum von Sevenwaters. Ich habe einen Bruder, der ein guter Anführer ist, und einen, der sich in älteren Geheimnissen auskennt, als euer Volk sich je vorstellen könnte. Ich habe einen Bruder, der ein furchtloser Krieger ist und einen, den die wilden Tiere als Freund kennen. Ich habe einen Bruder, der … der einmal ein Lächeln hatte, das die Vögel aus den Bäumen herunterzaubern konnte und der es wiederfinden wird. Und als der Faden wieder einmal riss und ich ihn wieder einmal knotete und die feinen Stacheln meine Haut wie Stücke heißen Drahts durchdrangen, sagte ich mir, ich habe einen Bruder, der weiß, wie man den Geist heilt, und der von sich soviel gibt, bis nichts mehr übrig ist. Was habt ihr mit euren glatten Händen und eurer feinen Stickerei? Mit jeder Drehung dieses Fadens sende ich einen Ruf zu meinen Brüdern. Mit jedem Stachel, der durch meine Haut dringt, rufe ich sie nach Hause zurück.
    Die Briten hielten mich für verrückt. Nach dem ersten Schrecken waren sie nur noch ungläubig, als sie meine Arbeit sahen und erkannten, dass ich es ernst meinte, wenn ich die Stiele dieser Pflanzen zwischen meinen Fingern drehte. Wenn sie sahen, wie ich mir die Schmerzensschreie verbiss und mein Gesicht zu einem ruhigen Ausdruck zwang, zogen sie sich vor mir zurück, drängten sich zusammen und warfen nur hin und wieder noch einen verstohlenen Blick in die Ecke, in der ich alleine saß. Ich hörte sie reden, obwohl sie leise sprachen. Wenn seine Mutter dort war, stellten sie nicht offen in Frage, was Lord Hugh getan hatte. Aber sie erzählten Geschichten, schreckliche Geschichten darüber, wie die Häuptlinge von Eire diesen guten Mann getötet oder jenen verkrüppelt hatten, wie die Blüte ihres Volkes in der langen Fehde zwischen uns zu Schaden gekommen war. Sie warfen mir über die Schulter Blicke zu und erzählten von guten Männern, die von Frauen meiner Art verzaubert und verraten worden waren, von Frauen mit heller Haut und nachtschwarzem Haar, die sich mit Worten auskannten. All das war für meine Ohren gemeint. Ich hätte ihnen unsere Seite der Geschichte erzählen können – die Geschichte meines Vaters. Denn Colum war ein siebter Sohn, und wie oft geschieht es schon, dass ein solcher das Land seines Vaters erbt? Nur, wenn all seine Brüder im Krieg fallen, einer nach dem anderen, bei der Verteidigung dessen, was für sie kostbar ist. Aber ich schwieg.
    Bei all den hochgezogenen Augenbrauen und den zusammengekniffenen Lippen gab es nur eine, die es wagte, anders zu sein. Das war Johns Frau. Sie hatte mich beobachtet, und ihr Blick war der einzige, der kein Urteil fällte. Am dritten Tag, als ich auf einem hohen Hocker in meiner Ecke saß und mit Spindel und Spinnrocken rang und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, setzte sie sich zu mir und brachte ihre Arbeit mit. Sie säumte ein winziges Kleidchen; das Mieder und die Ärmel waren bereits mit feingestickten Blättern verziert, und hier und da gab es eine gelbe Biene oder eine rote Blüte. Ich erkannte ihre Liebe für ihr ungeborenes Kind in jedem Stich dieses Kleidungsstücks. Ich streckte meine elende geschwollene Hand aus, um es zu berühren, und lächelte sie an.
    »Du heißt Jenny, nicht wahr?« sagte sie leise. »Ich bin Margery, Johns Frau.«
    Ich nickte und griff wieder nach meiner Spindel. Die anderen Frauen hatten demonstrativ geschwiegen; nun nahmen sie ihr Gespräch wieder auf.
    »Ich habe gehört, dass du eine recht gute Heilerin bist«, fuhr sie fort und bedachte mich mit einem Seitenblick. »Dieser Riss im Bein des Roten – Lord Hugh – kann da draußen nicht einfach zu behandeln gewesen sein. Er hat dir viel zu verdanken.«
    Ich sah sie an, und meine Überraschung muss mir im Gesicht gestanden haben. Sie war amüsiert.
    »Hin und wieder reden diese Männer, meine Liebe«, sagte sie. »Du wärst überrascht darüber, wie viel ich höre. Und obwohl John sich zurückhält, ist er alles andere als blind. Er ist schon sehr lange der Freund des Roten – Lord Hughs –, lange bevor ich nach Harrowfield kam. Er versteht auch das, was Hugh nicht laut ausspricht. Deine Ankunft hier hat alle in eine Unruhe versetzt, die sich nicht so schnell wieder legen wird.«
    Ich dachte darüber nach. Wir hatten die Männer bei den Abendmahlzeiten gesehen, und alle drei, die ich kannte, hatten mir höflich zugenickt. Ben hatte gegrinst und mich an meinem langen

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