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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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viele Bäume; und es gab nicht nur junge Eichen, sondern auch halb ausgewachsene und alte, und im Osten waren sie uralt und dicht, beinahe ein Wald.
    »Während Simon lesen und schreiben lernte, war ich mit meinem Großvater hier oben. Wir sammelten Eicheln, und ich sah zu, wie er eine Mauer baute oder bei der Geburt der Frühlingslämmer half. Während Simon Stöcke für seinen Hund warf, pflanzte ich mit meinem Vater Bäume und lernte Stroh zu stapeln und ein Dach zu decken. Während Simon herausfand, wie man einen Mann lautlos und ohne Spuren tötet, war ich damit beschäftigt, den Bauern Holz für ihr Winterfeuer zu bringen und den Namen jedes Einzelnen auf meinem Land zu lernen. Mein Bruder und ich waren Fremde füreinander. Die Zeit verändert solche Dinge. Mein Vater starb früh, und das hat meinem Großvater das Herz gebrochen. Nun sind sie beide gegangen.« Dies berichtete er recht sachlich; man hätte nicht sagen können, ob es ihm etwas ausmachte oder nicht. Es war schwer, mich ohne Worte verständlich zu machen, es sei denn, ich wollte etwas sehr Einfaches sagen. Ich versuchte es trotzdem, mit Hilfe von Gesten und Blicken. Diese Bäume – so alt sie waren, hatten sie sicher das Wissen und die Weisheit über alles, was in diesem Tal je geschehen war. Zweifellos verweilten dort die Geister der Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit ihre Liebe dem Land gegeben hatten. Das versuchte ich dem Roten zu zeigen. Bäume – alt – jung. Männer – alt – jung. Wachsen. Tal – Herz.
    Zumindest lachte er mich nicht aus, sondern beobachtete mich ernst und nickte, als ich fertig war. »Simon hat das nie verstanden«, sagte er. »Er war immer irgendwo anders beschäftigt, immer drängte er, forderte er heraus, versuchte er etwas Neues. Was wir hatten, schien ihm nie genug zu sein. Und dennoch hatten wir so viel.« Er ließ sich auf den Boden nieder; das Bein bereitete ihm eindeutig noch Schmerzen. Ich zeigte darauf und zog meine Brauen fragend hoch, als ich mich in einiger Entfernung von ihm hinsetzte.
    »Die Wunde sieht gut aus«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen, ich werde dich rufen lassen, wenn es Zeit ist, die Stiche zu entfernen. Das lasse ich niemanden sonst machen.« Ich benutzte die Finger, es ihm zu zeigen. Zwanzig Tage. Die Stiche mussten zwanzig Tage unberührt bleiben. Der Rote nickte; diese Botschaft war leichter zu verstehen gewesen.
    Wir saßen eine Weile schweigend da, sahen zu, wie der Tag erwachte, hörten die gedämpften Geräusche aus Haushalt und Bauernhof. Es war ein guter Ort, nahe genug am Himmel und weit genug von den Menschen entfernt.
    »Ich möchte dich warnen«, sagte der Rote und drehte einen Grashalm zwischen den Fingern. »Denn ich bin nicht sicher, ob du verstehst, wie wichtig es ist, zu tun, was ich dir sage: nahe beim Haus zu bleiben und nicht allein herumzuschlendern. Du bist hier einigermaßen sicher, obwohl ich fürchte, dass nicht alle in meinem Haushalt dich freundlich behandeln. Das kann man ändern. Aber es ist nicht dieser Haushalt, der mir Sorgen macht.« Er zeigte nach Norden. »In diese Richtung liegt der Landsitz meines Onkels Richard«, sagte er. »Er ist der Bruder meiner Mutter, ein mächtiger Mann, ein Mann von großem Wohlstand und Einfluss. Es war sein Kampf, den mein Bruder kämpfen wollte; es ist seine Fehde, die so viele Frauen ihre Söhne, Männer und Geliebte kostet. Meine Leute sind verbittert; es wird ihnen schwer fallen, dich willkommen zu heißen. Aber sie erkennen nicht, dass es diesem Mann nur um Macht geht, um seinen Blutdurst, und dass das allein den alten Krieg am Leben hält und den Geist der Menschen vergiftet, so dass sie ihm in Tod und Zerstörung folgen. Mein Bruder war jung; zu jung, um sich einer solchen Sache zu verpflichten. Er hatte keinen Grund zu hassen. Aber Richard blendet diese jungen Männer mit seinen Worten. Vielleicht kennst du solche Dinge. Vielleicht hast du diese Geschichte schon von den Lippen meines Bruders gehört.«
    Ich schüttelte den Kopf. Nicht diese Geschichte. Für einen Mann, der für gewöhnlich so wenig sagte, hatte er mehr von sich selbst enthüllt, als er wusste.
    »Du fragst dich, wieso ich dir das erzähle«, meinte der Rote, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich sage es dir – weil der Bruder meiner Mutter schon bald erfahren wird, dass du hier bist. Er hat überall Leute, die ihn informieren. Wir müssen damit rechnen, dass er zu Besuch kommt. Es wird schwierig werden, aber es gibt Menschen in

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