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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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sie teilte meine Sorgen, wenn sie sah, dass ihr Sohn sein frisch verheiltes Bein so intensiv einsetzte. Immerhin waren die Fäden sauber herausgekommen, und die Wunde sah gesund aus. Er würde nie die Narbe verlieren, die die Klinge seines Angreifers geschlagen hatte, aber er zeigte jeden Tag, dass das Bein selbst so gut wie neu war. Ich war ein wenig erleichtert. Aber dieser Erfolg verschaffte mir nicht die Hochachtung des Haushalts. Stattdessen gab es Gemurmel darüber, wie ich es getan hatte, und eine halbausgesprochene Andeutung, dass jemand, der so jung und dumm war wie ich, ein solches Ergebnis nicht ohne Zauberei hätte erreichen können, oder ohne etwas, das so nah an Zauberei war, dass man den Unterschied nicht bemerken würde.
    Als der Mittwinterabend näher kam, wusste ich, dass ich sorgfältig planen musste. Denn ich musste zwischen Abend- und Morgendämmerung für die Rückkehr meiner Brüder bereit sein. Ganz gleich, ob ich die See überquert und sie zurückgelassen hatte. Ganz gleich, unter wessen Dach ich nun lebte. Ich musste das Wissen, dass sie keine Landkarte, kein Zeichen und kein Licht hatten, das sie zu mir führte, beiseite schieben. Ich hatte diesen Weg gewählt, und sie würden folgen müssen. Es waren seltsame Dinge geschehen; es mochte noch seltsamer werden. Also hatte ich immer ihre Namen im Kopf, wie eine Art von Litanei, und ich plante meine Flucht. Ich würde unentdeckt nicht weit kommen und hatte nur wenig Zeit. Ich konnte nicht in der Abenddämmerung am Fluss sein. Es musste zwischen dem Abendessen und dem Zeitpunkt geschehen, wenn man die Wache vor meiner Tür aufstellte. Ich würde mich leise durch den Garten hinaus und zum Flussufer schleichen. Ich hoffte, meine Brüder würden warten. Dann, am Morgen, würde ich mich von ihnen verabschieden, sie sicher auf ihre Heimreise schicken und mich davon überzeugen, dass mein Wachtposten weg war, bevor ich wieder in mein Zimmer schlüpfte. Es sollte funktionieren. Es musste funktionieren. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass sie vielleicht überhaupt nicht kommen würden, dass es eine lange, leere Nacht des Wartens sein könnte.
    ***
    Der Mittwinterabend dämmerte klar und kalt. Mit einem guten Feuer in dem lang gezogenen Raum und schrägem Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, gelang es uns, unsere kalten Finger zum Arbeiten zu überreden. In der Haupthalle hatte man ein großes Eichenscheit in die Feuerstelle gelegt, das in dieser Nacht mit einem kleinen Ritual entzündet werden sollte, und es gab Efeu, Stechpalmen und Goldholz über jeder Tür. So viel war mir auch von daheim vertraut. Aber ich glaubte nicht, dass ich Feuer auf den Hügeln sehen oder diese Leute damit beschäftigt finden würde, um Mitternacht den Geistern auf Feldern und in Bäumen zuzutrinken. Sie würden sicher in ihren warmen Betten bleiben und die Tore verschließen. Das war mein Vorteil. Ich sollte in der Lage sein, in der Nacht ungesehen davonzuschlüpfen.
    Die Näharbeit wurde an diesem Tag abgekürzt; schon vor dem Mittag zogen sich die Frauen in die Küche zurück, wo alle mit Hand anlegten, um das Festmahl des Abends zu kochen. Es würde Braten geben, Apfelwein und Pflaumenkuchen. Die Männer spielten ihre Kampfspiele oder arbeiteten auf dem Hof. Die besten Tiere waren im Winter im Stall, und das Vieh musste jeden Tag gefüttert werden. Es war ein geschäftiger Tag, so geschäftig, dass niemand die Zeit hatte, von mir Notiz zu nehmen. Also blieb ich, wo ich war, genoss die Einsamkeit und nähte den zweiten Ärmel ins Hemd. Es war so gut wie fertig. Während ich arbeitete, schweiften meine Gedanken von dem leeren Raum und dem niederbrennenden Feuer ab. Ich stellte mir meinen Bruder Conor vor: weise, mit sanften Augen, schmalem, feinknochigem Gesicht, langem Haar, so schimmernd wie eine reife Kastanie; ein starker junger Mann mit einem uralten Geist. Ich sah ihn in unserer Küche, wie er Vorräte zählte; ich sah ihn bei Kerzenlicht umgeben von seltsamen Schatten. Ich beobachtete ihn, wie er über den See schwamm, die großen weißen Flügel an der Seite gefaltet. Conor. Ich bin hier. Wo bist du? Ich saß lange Zeit dort, meine Finger beschäftigt mit Nadel und Faden, meine Gedanken weit weg. Ich sandte sie mit aller Kraft aus, die ich aufbringen konnte. Aber ich erhielt keine Antwort, oder doch keine, die ich hören konnte. Vielleicht sind sie schon auf dem Weg hierher, sagte ich mir. Sie sind vielleicht über dem großen Wasser oder suchen irgendwo

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