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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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auch nicht kommen, dann geh und suche sie. Mitten im Winter würdest du nicht weit kommen. Außerdem würde er dir folgen und dich zurückbringen. Immer.
    Steifknochig erhob ich mich und hinkte zum Flussufer. Dort kniete ich nieder und schöpfte klares Wasser, erst zum Trinken und dann, um mir das Gesicht zu waschen. Als das Wasser wieder ruhiger wurde, sah ich mein Spiegelbild mit roten Augen, Tränenspuren und bleich vor Erschöpfung. Das Wasser war eiskalt.
    »Ich werde dir etwas versprechen«, sagte der Rote. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass er seine Schnitzarbeit weggelegt hatte und mich beobachtete. Ich fragte mich, wieso ich seine Augen für blau gehalten hatte. Heute schienen sie wie das Flusswasser zu sein, eine helle, sich verändernde Farbe, irgendwo zwischen grau und grün. »Ich verspreche, ich werde dich zurückbringen, ganz gleich, was geschieht. Ich verspreche, ich werde dich sicher nach Hause zurückbringen, wenn die Zeit gekommen ist. Sobald ich die Wahrheit über meinen Bruder erfahre, bringe ich dich dorthin. Ich breche meine Versprechen nie, Jenny. Ich weiß, es fällt dir schwer, mir zu trauen. Wenn ich den Mann jemals finde, der dir das angetan hat, der dich so verängstigt hat, dann werde ich ihn mit bloßen Händen töten. Aber du kannst mir vertrauen.«
    Ich starrte ihn an. Wie konnte er das in ganz alltäglichem Ton sagen, als erzählte er mir, wie man einen Heuschober baut oder wie man am besten Rüben ausgräbt? Aber es war etwas in seinen Augen, etwas so tief Verborgenes, dass es einem leicht entging – eine Intensität, die mir sagte, dass er jedes Wort ernst meinte. Ein Schauder überlief mich. Etwas hatte sich verändert; aber ich wusste nicht, was. Es war, als wäre die Welt leicht zur Seite gekippt, und nichts war mehr, wie es vorher war. Oder als hätte der Weg eine geringe Wendung genommen, nur eine leichte Abweichung, die aber bedeutete, dass man ganz woanders herauskam. Und es war auch schon zu spät, um zurückzukehren.
    Ich antwortete, ohne nachzudenken. Ich machte eine Geste, die bedeutete: Ich weiß. Ich glaube dir. Und als er die Hand ausstreckte, um mir wieder das Ufer hinauf zu helfen, griff ich danach, wie ich es schon einmal in diesem Regen getan hatte, als diese Hand alles war, was mir auf meiner Flucht vor dem Tod an Wirklichkeit geblieben war. Ich traute ihm. Er war ein Brite, und ich traute ihm. Vielleicht würde er wirklich dafür sorgen, dass ich meine Hemden in Sicherheit vollenden konnte, und dann – aber an dieser Stelle stießen meine Gedanken an eine Grenze. Der Rote mochte jetzt freundlich sein, aber er wartete immer noch. Er wartete, dass ich ihm Simons Geschichte erzählte. Er wartete darauf, dass ich ihm erzählte, wie man seinen Bruder gefoltert und halb um den Verstand gebracht hatte. Wie mein eigenes Volk das getan hatte. Wie ich Simon im Wald allein gelassen hatte, allein mit seinen Dämonen, dass ich zugelassen hatte, dass er hinaus ging ins Dunkel und an Kälte und Hunger und Schrecken starb, dort unter den großen Eichen. Wie freundlich würde Lord Hugh noch sein, wenn er diese Geschichte gehört hatte? Wie leicht würde es ihm fallen, sein Versprechen zu halten, wenn er wusste, was wir seinem jüngeren Bruder angetan hatten? Ich hatte die Kraft in diesem Mund gesehen, die Stärke in diesem festen Kinn. Ich hatte gesehen, wie kalt diese Augen dreinschauen konnten. Und nur einmal, ein einziges Mal, hatte ich Leidenschaft in seiner Stimme vernommen, als das Feenvolk ihn wegen Simon neckte. Meine Sicherheit und die meiner Familie würde ihm wenig bedeuten, wenn er die Wahrheit erfuhr.
    Also gingen wir wieder nach Hause, langsam, weil ich feststellte, dass ich plötzlich schrecklich müde war, so müde, dass ich kaum geradeaus gehen konnte.
    »Ich könnte dich tragen«, bot der Rote an. »Letztes Mal ging das ganz gut.« Aber ich schüttelte den Kopf. »Nun gut«, sagte er, als ich grimmig weiterstapfte. »Ich nehme an, du bist jetzt ohnehin zu schwer. Erstaunlich, was ein bisschen gutes Essen erreichen kann.« Als ich ihn überrascht ansah, zog der Hauch eines Lächelns über sein Gesicht, nur einen Augenblick lang.
    Ich schaffte es beinahe den ganzen Weg bis zum Haus. Es waren trotz der Kälte Leute unterwegs; ein Gärtner mit einem Wollhut und Handschuhen, der eine Hecke schnitt; ein Junge mit einem langen Eschenstock, der eine Gänseherde hütete. Wir vermieden das Haupttor, und es gelang uns, der allgemeinen Aufmerksamkeit zu entkommen.

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