Die Tochter der Wanderhure
herbeisehnen. Bis dahin aber hatte er noch einiges zu tun. Trudi würde Uta gewiss nicht ins Vertrauen ziehen. Also musste er die Magd suchen und auf ihre Flucht vorbereiten.
Es dauerte noch einige Stunden, bis Lampert seine Arbeit getan hatte, denn die einheimischen Knechte nützten ihn aus, wo sie nur konnten, und hetzten ihn von einem Ende des Stalles zum anderen. Deswegen kam er zu spät zum Essen, und kaum hatte er seinen Löffel in den Eintopf getaucht, sprach der oberste Stallknecht ihn an.
»Trödle nicht! Die fünf Pferde, die heute beschlagen werden sollen, müssen zum Schmied geführt werden!«
Lampert nickte nur und schlang den Inhalt seines Napfes in sich hinein. Doch er kehrte nicht sofort in den Stall zurück, sondern betrat den Palas und suchte Trudis Kammer auf. Er hoffte, seine Herrin würde um diese Zeit beim Mahl sitzen, und trat ein. Die Kammer war klein und schlicht eingerichtet. Außer einem schmalen Bett für seine Herrin gab es nur einen quer davorliegenden Strohsack für Uta, eine alte Truhe und einen Tisch, auf dem eine Schüssel und ein Krug mit Wasser standen. Einen Stuhl suchte er vergebens. Lampert begriff schnell, dass nicht die Wirtschafterinder Burg an diesem Mangel schuld war, sondern Trudi selbst, die die Sitzgelegenheiten in Gressingens Kammer hatte schaffen lassen.
Uta hatte die Abwesenheit ihrer Herrin zu einem kleinen Schläfchen genutzt und schnarchte leise. Für einen Augenblick sah Lampert auf sie hinab und musterte sie nachdenklich. Obwohl ihre Lippen schmerzlich zuckten und sie sogar einmal leise stöhnte, sah sie so lieblich aus, dass er sich am liebsten neben sie gesetzt und sie still betrachtet hätte. Er benötigte sie jedoch in wachem Zustand. Daher beugte er sich über sie und rüttelte sie. Uta stieß einen erschreckten Ruf aus und rollte sich zusammen. Dann begriff sie, dass kein Frodewin von Stammberg sie geweckt hatte, um sie erneut zu quälen.
»Ach, du bist es! Was willst du?« Ihre Stimme klang unfreundlich, aber dennoch so, als sei sie erleichtert, aus ihrem Alptraum erwacht zu sein.
»Ich muss dir etwas sagen. Komm heute Abend, wenn es dunkel wird, zu mir in den Stall. Zieh dich aber gut an, denn es kann in der Nacht noch kalt werden.«
»Was soll ich in der Nacht bei dir? Willst du vielleicht deinen Bauch an dem meinen reiben? Danke, davon habe ich genug.«
Lampert sah sie an und stellte fest, dass er wirklich nichts gegen ein zärtliches Stündchen mit der Magd gehabt hätte. Doch es war keine gute Zeit, an so etwas zu denken.
»Aber doch nicht dafür!«, winkte er scheinbar verächtlich ab. »Ich muss mit dir heute Abend über die Herrin sprechen. Es ist wichtig, verstehst du?«
»Das wird wohl etwas Gescheites sein«, spottete Uta herausfordernd und strich ihr Kleid glatt.
Lampert antwortete ihr nicht, sondern hoffte, dass die Neugier sie dazu bringen würde, rechtzeitig zu kommen, und verließ die Kammer wieder. Das, was er an Vorbereitung für eine erfolgreiche Flucht hatte tun können, war geschehen.
6.
A nders als Lampert schlug Trudi sich mit tausend Zweifeln herum. Sie wagte es nicht einmal mehr, mit irgendjemandem zu reden, denn sie fürchtete, sich durch Gesten oder ihren Gesichtsausdruck zu verraten. Da sie aber auch nicht die ganze Zeit in ihrer Kammer sitzen wollte, suchte sie die Burgkapelle auf, nahm in einer dunklen Ecke Platz und begann leise zu beten. Sie flehte die Heilige Jungfrau an, ihr und Gressingen während der nächsten Stunden und Tage beizustehen, und bat sie auch, sich ihrer Mutter, ihrer Geschwister und aller Bewohner von Kibitzstein und den dazugehörigen Dörfern anzunehmen.
Als die Mittagsglocke erklang, verließ sie die Kapelle und eilte in den Saal, in dem das Essen aufgetragen wurde. Sie übersah dabei geflissentlich Hardwins aufforderndes Winken und setzte sich unter den verwunderten Blicken des Haushofmeisters zu einigen ihr unbekannten Gästen an das entgegengesetzte Ende der Tafel. An diesem Tag hätte man ihr Schuhleder oder Kleister vorsetzen können, sie hätte es nicht bemerkt. Ihre Nerven waren bis zum Äußersten angespannt, und sie ging wieder und wieder die Schritte durch, die noch vor ihr lagen. Dabei war es ihr, als seien die noch zu überwindenden Probleme viel zu groß, als dass sie sie würde bewältigen können.
Da sie auf Fragen nur einsilbig oder gar nicht antwortete, gaben ihre Tischnachbarn es bald auf, sie anzusprechen, und unterhielten sich mit anderen Gästen. Es schien eine
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