Die Tochter der Wanderhure
einem Ruck richtete sie sich auf, wischte sich die Tränen mit dem Bettlaken ab und holte tief Luft. Wenn die Flucht gelingen sollte, wurde es Zeit, zu handeln. Ein weiteres Mal würde es Lampert wohl kaum gelingen, unauffällig die Pferde zu satteln.
Sie raffte ihren Umhang an sich, den Uta fein säuberlich auf die Truhe gelegt hatte, warf ihn über die Schulter und ging hinab zum Hauptportal, als wolle sie ein wenig frische Luft schnappen. Dann kehrte sie auf einem anderen Weg in den Palas zurück und blieb schließlich vor einer Tür stehen, die mit schweren Riegeln verschlossen war. Es gab auch noch ein großes, eisernes Schloss, dessen Bügel in den Ösen hing, die es verschließen sollte. Aber zu ihrem Glück war dieser nicht eingerastet.
Trudi versicherte sich, dass sich niemand in ihrer Nähe befand, und entfernte zuerst das Schloss. Es war höllisch schwer, und wäre es versperrt gewesen, hätte sie es auch mit dem darin steckenden Schlüssel nicht aufgebracht. Das sperrige Ding schien auch dem Rüstmeister und seinen Untergebenen Schwierigkeiten zu bereiten, sonst hätten sie die Tür so versperrt, wie es sich gehörte. Dieser Schlendrian bot Trudi die Gelegenheit, in die Kammer einzudringen. Auch kam ihr die Tatsache entgegen, dass die Riegel gut eingefettet waren und sich leicht und geräuschlos zurückziehen ließen.
Sie horchte kurz, ob jemand auf diesen Gang zukam, stemmte sich dann gegen die schwere Tür und schlüpfte hinein. Viel Zeit hatte sie nicht, das war ihr klar. Jeden Augenblick konnte jemand um die Ecke biegen und die offene Tür sehen. Daher suchte sie auch nicht lange, sondern nahm das vorderste Schwert aus der Halterung und verbarg es unter ihrem Umhang. Schneller als eine Maus auf der Flucht vor dem Besen der Köchin verließ sie die Rüstkammer, schob die Riegel vor und stemmte das schwereSchloss hoch. Dabei entglitt ihr das Schwert und schlug scheppernd auf den steinernen Boden.
Trudi erschrak bis ins Mark und glaubte, sich verraten zu haben. Aber es klangen weder Rufe auf, noch erschollen Schritte, und sie vernahm auch sonst kein verräterisches Geräusch. Mit zitternden Händen hängte sie das Schloss an seinen Platz, raffte das Schwert an sich und eilte, so schnell sie es vermochte, auf dem gleichen Weg zurück.
Sie gelangte ungesehen in ihre Kammer und wagte erst dort wieder richtig Luft zu holen. Als Erstes versteckte sie das Schwert unter ihrer Matratze. Dann zog sie sich bis auf ihr Hemd aus, obwohl es in der Kammer lausig kalt war, suchte praktischere Kleidung für die Flucht heraus und kleidete sich sorgfältig an. Da sie bis zur Dämmerung nichts weiter tun konnte als warten, legte sie sich auf das Bett und zog das Laken bis zum Kinn hoch.
Trotz aller Aufregung schlief sie ein, und als sie erwachte, war es bereits dunkel. In dem Glauben, sie habe den richtigen Zeitpunkt verpasst, sprang sie auf und starrte aus dem Fenster. Unten im Hof eilten gerade die Knechte zu dem Raum, in dem sie das Essen erhielten. Nun erinnerte sie sich, im Aufwachen den Klang der Essensglocke gehört zu haben, und schlug erleichtert das Kreuz.
Sie war gerade noch rechtzeitig aufgewacht, um ihren Plan in die Tat umsetzen zu können. Zu dieser Zeit versammelten sich die Herrschaften um den König zum Abendessen, und das Gesinde, welches nicht zur Bedienung gebraucht wurde, bekam ebenfalls sein Nachtmahl. Uta würde wohl ebenfalls in der Gesindeküche sein. Darüber war Trudi froh, denn sie zog es vor, ohne Abschied von ihrer Magd zu scheiden, um sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen. Sie holte das Schwert unter der Matratze hervor, steckte es unter ihren Umhang und verließ vorsichtig das Zimmer, das ihr den größten Teil des Winters Obdach geboten hatte.
Das Glück blieb ihr auch weiterhin treu, denn auf dem Weg zu Junker Georgs Kammer begegnete sie keinem Menschen. Da er sein Gefängnis zu den Mahlzeiten verlassen durfte und dabei von dem Wachtposten begleitet wurde, war kein Riegel vorgelegt. Trudi trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Im Raum war es so dunkel, dass sie die Hand nicht vor Augen sehen konnte, und für ein paar Augenblicke fühlte sie sich wie in einer Gruft. Schnell vertrieb sie diesen unpassenden Vergleich, tastete sich zu dem in der Ecke stehenden Hocker und ließ sich darauf nieder, um auf die Rückkehr ihres Geliebten zu warten.
7.
S chritte auf dem Gang ließen Trudi hochschrecken. Sie drückte sich in die Ecke hinter der Tür, um nicht gesehen
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