Die Tochter der Wanderhure
draußen der Riegel vorgelegt wurde, wurde ihm mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, wie sehr er von Trudis Hilfe abhängig war. Im Gegensatz zu Otto von Henneberg hatte er niemanden, der für ihn bürgte. Herzog Albrecht von Österreich musste ihn für einen Versager halten, und der Fürstbischof würde bestimmt keinen Finger rühren, um ihn auszulösen.
Sollte Trudi es nicht gelingen, ihm ein Schwert zu besorgen, würde er sie erwürgen, was auch immer danach mit ihm passierte. Das schwor er bei allen Heiligen. Je mehr der Tag sich neigte, umso unsicherer wurde Gressingen. Trudi war nur ein Mädchen und hatte weniger Verstand im Kopf als er im kleinen Finger. Daher konnte sie in seinen Augen nur scheitern. Seine Wut auf diese anhängliche Hurentochter wuchs bis ins Unerträglicheund raubte ihm sogar den Schlaf. Daher stand er die halbe Nacht am Fenster und trotzte der kalten Luft, die von draußen hereinpfiff. Unter ihm lag die Stadt wie ein schwarzer Kadaver, in dem nur hie und da ein Funken Leben aufglimmte, wenn ein nächtlicher Spaziergänger mit einer Fackel oder Lampe durch die Gassen eilte. Was hätte er nicht alles dafür gegeben, in der erbärmlichsten Kate dort unten schlafen zu können anstatt in dieser Kammer.
In den Wochen seiner Gefangenschaft hatte er tagtäglich überlegt, wie er den Wachtposten an der Tür überlisten könnte. Doch selbst wenn es ihm gelänge, den Mann zu überwältigen, seine Waffen an sich zu nehmen und seinen Auftrag auszuführen, würde er ohne Pferd ein leichtes Opfer seiner Verfolger werden. Und selbst mit Hilfe der kleinen Metze würde es alles andere als leicht sein. Er musste genau die Stunde abpassen, in der Friedrich in die Martinskapelle trat, um ungestört von anderen Menschen zu beten.
Nur dort hatte er die Möglichkeit, ihn zu töten und gleich darauf die Burg durch das obere Tor zu verlassen. Dafür aber musste ein gesatteltes Pferd bereitstehen. Je weiter die Zeit verstrich, umso stärker zweifelte er daran, dass dieses verliebte Dummchen alles richtig machte. Ein kleiner Fehler von ihr, und ihm würde weder das Attentat noch die Flucht gelingen.
Trudi fand ebenfalls keinen Schlaf, sondern ging immer wieder die einzelnen Schritte durch. Dabei musste sie auf jeden Fall eine Begegnung mit Eichenloh meiden, der sie immer wieder misstrauisch beäugte. Auch Hardwin von Steinsfeld durfte keinen Verdacht schöpfen, denn der würde sofort Eichenloh alarmieren.
Als sie sich am nächsten Morgen nach einem hastigen Frühstück aus Getreidebrei und Bier auf den Weg zum Stall machte, um mit Lampert zu reden, begegnete sie ausgerechnet dem Steinsfelder.
Hardwin vertrat ihr mit tadelnder Miene den Weg. »Du hättest gestern beim Mahl klüger sein und den König auf eure Probleme ansprechen sollen.«
»Wenn man jemanden trifft, sagt man erst einmal guten Morgen«, antwortete Trudi hochmütig.
»Meinetwegen. Ich wünsche dir einen guten Morgen! Aber trotzdem war es dumm von dir. Da sorgt Eichenloh dafür, dass du endlich wieder einmal in die Nähe des Königs gesetzt wirst, und du bleibst stumm wie ein Fisch. Das kann dir deine Mutter gewiss nicht danken!«
Hardwin mochte die Kibitzsteiner und hätte ihnen gewünscht, noch viele Generationen auf ihrer Burg leben zu können. Außerdem war ihm bewusst, dass der Fürstbischof nach einem Erfolg gegen diese reichsfreie Burg auch die anderen kleinen Herrschaften im Umkreis von Würzburg unterwerfen und dem Hochstift einverleiben würde. Damit war auch Steinsfeld in Gefahr.
»Pah, dieser König rührt doch keinen Finger für uns!« Mit diesen Worten schlüpfte Trudi an ihrem Jugendfreund vorbei und eilte die Treppe hinab. Zu ihrer Erleichterung folgte er ihr nicht, sondern stieg grummelnd nach oben. Am Tor zum Hof atmete Trudi noch einmal tief durch und trat dann ins Freie. Die Luft war nicht mehr so kalt wie noch am Tag zuvor, und sie glaubte einen Hauch Frühling darin zu spüren. Es wird wirklich höchste Zeit, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie wusste zwar nicht, welche Möglichkeiten Herzog Albrecht von Österreich besaß, um ihrer Familie zu helfen, doch er würde sicher mehr tun können als der König, der sich kaum für die Nöte von Kibitzstein interessiert hatte.
Von dieser Hoffnung beseelt, eilte sie zu den Ställen. Die Knechte waren gerade dabei, auszumisten. Lampert kam mit der Forke in der Hand auf sie zu.
»Ihr wünscht, Herrin?« Trudi hatte ihn bislang kaum eingeweiht. Er wusste nicht mehr, als dass sie bald
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