Die Tochter des Fotografen
von sich selbst überrascht. »Was ist mit meinen Wünschen?«
»Paul?« Die Stimme seiner Mutter.
»Gleich nebenan«, sagte er und griff nach seiner Gitarre. »Wir sitzen auf der Veranda – Rosemary und ich.«
»Ach du lieber Himmel«, sagte sein Vater. Sekunden später kam er die Stufen hoch. Nach der letzten Nacht hatte er geduscht, sich rasiert und einen sauberen Anzug angezogen. Er sah mager und müde aus. Genau wie Norah, die nun neben ihm stand.
Paul erhob sich und sah ihm ins Gesicht. »Ich gehe auf die Juilliard, Dad. Sie haben letzte Woche angerufen. Ich bin aufgenommen. Und ich werde gehen.«
Er wartete darauf, daß sein Vater wieder seine Litanei abließ: daß so ein Musikerdasein nichts Verläßliches sei, nicht mal, was die klassische Musik anging. Daß Paul doch alle |377| Möglichkeiten offenständen, daß er doch immer spielen und Spaß dabei haben könne, auch wenn er seinen Lebensunterhalt mit etwas anderem verdiene. Er wartete darauf, daß sein Vater vernünftig, resolut und unumstimmbar wäre, damit er seinem Ärger endlich Luft machen könnte. Er war bereit, doch zu seiner Überraschung nickte sein Vater nur.
»Freut mich für dich«, sagte er, und die Züge in seinem Gesicht wurden einen Moment lang weich, und die Sorgenfalten auf seiner Stirn verschwanden. Als er sprach, klang seine Stimme ruhig und überzeugt. »Wenn es das ist, was du machen willst, Paul, dann geh dorthin. Geh, sei tüchtig, und werde glücklich.«
Paul stand auf der Veranda, und ihm war unbehaglich zumute. All die Jahre hatte er das Gefühl gehabt, er sei immerzu gegen eine Wand gelaufen, wenn er und sein Vater darüber gesprochen hatten. Und nun war die Wand auf mysteriöse Weise verschwunden, doch er lief immer noch, raste orientierunglos in diesem neuen, leeren Raum umher.
»Paul, ich bin stolz auf dich«, sagte sein Vater.
Alle sahen ihn nun an, und die Tränen standen Paul in den Augen. Er wußte nicht, was er sagen sollte, also ging er ein paar Schritte, zunächst nur, um aus ihrem Blickfeld zu verschwinden und der unangenehmen Situation zu entkommen, doch dann lief er wirklich los, die Gitarre noch in der Hand.
»Paul!« Seine Mutter rief ihm hinterher, und als er sich umdrehte und ein paar Schritte rückwärts stolperte, sah er, wie blaß sie war, wie sie die Arme voller Anspannung vor ihrer Brust verschränkte und der Wind durch ihr mit frischen Strähnen durchzogenes Haar strich. Er dachte an Bree und was seine Mutter über sie gesagt hatte, wie ähnlich sich seine Mutter und Tante geworden waren, und er bekam Angst. Er sah seinen Vater vor sich, wie er mit völlig verdreckten Kleidern im Flur stand, wie die dunklen Stoppeln grob die Konturen eines Bartes zeichneten, das Haar wild durcheinander. Und nun, an diesem Morgen, war er sauber und besonnen |378| und doch verändert. Sein immer einwandfreier, selbstsicherer, akkurater Vater war jemand anderes geworden. Hinter den Waldreben, halb verdeckt, stand Rosemary mit verschränkten Armen und hörte zu. Sie trug ihr Haar nun offen, so daß es ihr über die Schultern fiel, und er stellte sie sich in dem in den Hang gebauten Haus vor, wie sie sich mit seinem Vater unterhielt, wie sie all die Stunden mit ihm Bus fuhr, wie sie in irgendeiner Weise zum Stimmungsumschwung seines Vaters beigetragen hatte, und wieder bekam er Angst und fragte sich, was aus ihnen allen werden würde.
Deshalb lief er fort.
Es war ein sonniger Tag, und es war schon recht warm. Die Magnolien blühten überall. Mr. Ferry und Mrs. Pool winkten von der Terrasse. Paul hob die Gitarre zum Gruß an und lief weiter. Er entfernte sich von zu Hause – erst drei Häuserblocks, dann fünf, dann zehn. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand vor einem Bungalow ein führerloser Wagen mit laufendem Motor. Wahrscheinlich hatte der Besitzer etwas vergessen, war noch mal zurückgelaufen, um seine Brieftasche oder seine Jacke zu holen. Paul blieb stehen. Es war ein hellbrauner, rostiger Gremlin, das häßlichste Auto des Universums. Er ging über die Straße, öffnete die Fahrertür und schlüpfte hinein. Niemand schrie, niemand kam aus dem Haus herausgerannt. Er zog die Tür zu und stellte den Sitz ein, um sich Beinfreiheit zu verschaffen. Die Gitarre legte er auf den Beifahrersitz. Der Wagen hatte ein Automatikgetriebe, und überall lagen Bonbonpapiere und leere Zigarettenschachteln herum. Dieses Auto mußte einem völligen Versager gehören, dachte er sich, einer dieser Frauen, die viel
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