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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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bester Ordnung.« Die blauen Augen, der stete Druck ihrer Hand waren genauso tief ins Garn dieser Momente verwoben wie die Erinnerung an Davids tranceartigen Fahrstil oder Pauls ersten Schrei.
    »Was machen Sie hier?« fragte Norah. »David ist vor zwei Jahren gestorben.«
    »Ich weiß«, sagte Caroline und nickte. »Ich weiß – es tut mir wirklich sehr leid. Hören Sie, Norah – Mrs. Henry –, es gibt da etwas, über das ich mit Ihnen reden muß. Eine sehr ernste Angelegenheit. Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Natürlich nur, wenn es Ihnen paßt. Ich komme gerne wieder, wenn es gerade nicht so günstig ist.«
    Ihre Stimme klang eindringlich und bestimmt, und entgegen ihrer Absicht sah Norah sich einen Schritt zurückgehen und Caroline in den Flur eintreten. Vollgepackte und zugeklebte Kartons stapelten sich an den Wänden. »Entschul digen Sie die Unordnung hier im Haus«, sagte sie. Sie wies Richtung Wohnzimmer. »Ich habe die Maler bestellt. Und auch einen Sachverständigen für die Möbel. Ich werde wieder heiraten«, fügte sie hinzu. »Ich ziehe aus.«
    »Dann bin ich froh, daß ich sie noch erwischt habe«, sagte Caroline. »Daß ich nicht damit gewartet habe.«
    Weswegen
noch erwischt? fragte sich Norah, doch die Macht der Gewohnheit ließ sie Caroline in die Küche hineinbitten, den einzigen Ort, wo man sich noch bequem hinsetzen konnte. Sie gingen schweigend durchs Eßzimmer, und Norah entsann sich Carolines abrupten Verschwindens, des Skandals. Sie sah sich zweimal kurz um und schaffte es nicht, das mulmige Gefühl loszuwerden, das Carolines Gegenwart ausgelöst hatte. An einer Kette um Carolines Hals hing eine Sonnenbrille. Ihre Gesichtszüge waren markanter geworden über die Jahre, ihre Nase und ihr Kinn waren ausgeprägter. Wäre dies ein Geschäftstermin, so würde sie bedrohlich wirken, |480| entschied Norah. Eine Person, vor der man sich in acht nehmen mußte. Doch Norah bemerkte, daß ihre Unbehaglichkeit eine andere Ursache hatte. Caroline hatte sie als eine andere Person gekannt – als junge und unsichere Frau, eingebunden in ein Leben und eine Vergangenheit, an die sie nicht mit sonderlich viel Stolz zurückdachte. Caroline nahm in der Frühstücksecke Platz, während Norah zwei Gläser mit Wasser und Eis füllte. Davids letzte Nachricht, »Ich habe den Wasserhahn im Bad repariert. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, prangte an der Pinnwand direkt hinter Carolines Schulter. Norah dachte voller Ungeduld an die Fotos, die in der Garage auf sie warteten, an all das, was sie zu tun hatte und was nicht warten konnte.
    »Sie haben Rotkehlchen im Garten«, sagte Caroline und wies mit dem Kopf auf die wilde, chaotische Gartenanlage.
    »Ja. Es hat Jahre gedauert, sie hierherzulocken. Ich hoffe, daß die neuen Eigentümer sie füttern werden.«
    »Der Gedanke ans Umziehen muß seltsam sein.«
    »Es ist an der Zeit«, sagte Norah, holte zwei Untersetzer hervor und stellte die Gläser auf den Tisch. Sie setzte sich. »Aber Sie sind sicher nicht gekommen, um mich danach zu fragen.«
    »Nein.« Caroline nahm einen Schluck und legte ihre Hände flach auf den Tisch, als ob sie ihnen – so kam es Norah vor – Halt geben wollte. Doch als sie sprach, schien sie ruhig und entschlossen.
    »Norah – darf ich Sie Norah nennen? So habe ich Sie all die Jahre in Gedanken genannt.« Norah, die immer noch perplex und immer entnervter war, nickte. Wann hatte sie das letzte Mal an Caroline Gill gedacht? Das war schon Jahre her und stets Teil der Erinnerung an die Nacht gewesen, als Paul geboren wurde.
    »Norah«, sagte Caroline, als könnte sie gerade ihre Gedanken lesen. »Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Nacht denken, in der Ihr Sohn geboren wurde?«
    |481| »Warum fragen Sie?« Norahs Stimme klang bestimmt, doch sie lehnte sich bereits nach hinten, um vor dem eindringlichen Blick von Carolines Augen zurückzuweichen, vor einer wirbelnden Unterströmung, vor ihrer eigenen dunklen Angst, was nun kommen könnte. »Warum sind Sie hier, und warum fragen Sie mich das?«
    Caroline Gill antwortete nicht sofort. Die munteren Stimmen der Singvögel schwebten durch den Raum wie Staubkörnchen im Licht.
    »Hören Sie, es tut mir leid«, sagte Caroline. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Einfach ist es jedenfalls nicht. Deswegen sage ich es gerade heraus. Norah, in der Nacht, als Ihre Zwillinge geboren wurden – Paul und Phoebe –, gab es ein Problem.«
    »Ja«, sagte Norah in scharfem Ton und dachte an

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