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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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könnte.«
    Im Zustand völliger Verwirrung dachte Norah an jene ausgeblichenen Tage des Kummers und der Freude zurück, Paul in ihren Armen und Bree, die ihr den Hörer reichte und sagte: »Du mußt mit dieser Sache abschließen.« Die ganze Gedächtnisfeier hatte sie allein organisiert, ohne David davon zu erzählen, und jedes Detail half ihr dabei, zur Welt zurückzukehren. Und als David in dieser Nacht nach Hause gekommen war, hatte sie für ihr eigenes Leben gekämpft, gegen seinen Widerstand.
    Wie mußte er diese Nacht, diese Messe erlebt haben?
    |484| Und doch hatte er all das geschehen lassen.
    »Aber warum hat er es mir nicht gesagt?« fragte sie, ihre Stimme ein Flüstern. »All die ganzen Jahre kein Sterbenswort.«
    Caroline schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht für David sprechen«, sagte sie. »Mir ist er immer ein Rätsel geblieben. Ich weiß, daß er Sie geliebt hat, und ich glaube – wie barbarisch all das auch scheint –, daß seine Absichten gut waren. Irgendwann einmal hat er mir von seiner Schwester erzählt. Sie hatte einen Herzfehler und starb sehr jung – seine Mutter ist nie darüber hinweggekommen. Wenn Sie mich fragen – ich glaube, er wollte Sie beschützen.«
    »Sie ist mein Kind«, sagte Norah, und die Worte drangen aus einer Stelle tief in ihrem Körper heraus, aus einem alten, lange begrabenen Schmerz. »Sie ist mein eigen Fleisch und Blut. Mich beschützen? Indem er mir sagt, daß sie tot ist?«
    Caroline antwortete nicht, und lange saßen sie da und ließen das Schweigen zwischen sich anschwellen. Norah dachte daran, wie David stets sein Geheimnis mit sich herumgetragen hatte. Sie hatte es nicht gewußt, nicht einmal vermutet. Doch nun, wo sie es erfahren hatte, ergab es auf fürchterliche Weise Sinn.
    Zu guter Letzt öffnete Caroline ihre Handtasche und holte einen Zettel mit ihrer Adresse und Telefonnummer heraus. »Hier wohnen wir«, sagte sie. »Mein Mann Al und ich und Phoebe. Hier ist Phoebe groß geworden. Sie ist glücklich aufgewachsen, Norah. Ich weiß, daß ich Ihnen damit nicht viel geben kann, aber es ist wahr. Sie ist eine bezaubernde junge Frau. Nächsten Monat zieht sie in eine Stätte für betreutes Wohnen. Das war ihr Wunsch. Sie hat eine gute Stelle in einem Copyshop. Sie fühlt sich dort sehr wohl, und man mag sie.«
    »Ein Copyshop?«
    »Ja. Sie hat sich wunderbar entwickelt.«
    |485| »Weiß sie es?« fragte Norah. »Weiß sie von mir? Von Paul?«
    Caroline sah auf den Tisch und nestelte am Fotorand herum. »Nein. Ich wollte es ihr nicht erzählen, bevor ich nicht mit Ihnen gesprochen habe. Ich wußte ja nicht, wie Sie reagieren würden. Ob Sie sie sehen wollen. Ich hoffe dies zwar, aber ich werde Sie nicht dafür verurteilen, wenn Sie es nicht wollen. All die ganzen Jahre – es tut mir so leid. Aber wenn Sie kommen wollen, sind wir für Sie da. Rufen Sie einfach an. Nächste Woche oder nächstes Jahr.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Norah langsam. »Ich glaube, ich stehe unter Schock.«
    »Ja, natürlich.« Caroline erhob sich.
    »Darf ich die Fotos behalten?« fragte Norah.
    »Sie gehören Ihnen. Sie haben immer Ihnen gehört.«
    Auf der Veranda blieb Caroline stehen und schaute sie ernst an. »Er hat Sie geliebt«, sagte sie. »David hat Sie immer über alles geliebt, Norah.«
    Norah nickte und erinnerte sich daran, daß sie ebendiese Worte zu Paul in Paris gesagt hatte. Von der Veranda aus blickte sie zu Caroline, die zu ihrem Wagen zurückging, und fragte sich, wie das Leben, in das Caroline nun zurückkehrte, wohl sein mochte, welche Vielschichtigkeit und Rätsel es bereithielt.
    Norah stand lange auf der Veranda. Phoebe lebte, war auf der Welt. Dieses Wissen war wie eine unendlich tiefe Fallgrube, die sich in ihrem Herzen öffnete. Geliebt, hatte Caroline gesagt. Umsorgt. Aber nicht von Norah, der es so schwergefallen war, sie gehen zu lassen. Die Träume, die sie gehabt hatte, die ewige Suche durchs spröde, gefrorene Gras, all das holte sie ein, traf sie mitten ins Herz.
    An den umhüllten Möbeln vorbei ging sie zurück ins Haus und weinte nun. Der Gutachter würde kommen. Auch Paul würde kommen, heute oder morgen, er hatte versprochen, vorher anzurufen, aber manchmal tauchte er auch unangekündigt auf. Sie spülte die Wassergläser und trocknete sie |486| ab, stand dann in der stillen Küche und dachte an David, wie er all die Jahre mitten in der Nacht ins Krankenhaus gefahren war, um jemanden zu behandeln, dem es schlecht ging. David war ein

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