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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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vom Sonnenlicht aufgeschreckten Schwarzweißfotos ab, mit all den fremden Gesichtern junger Frauen, die sie aus dem Gras heraus anstarrten. In der knallenden Mittagssonne hockend, hielt sie ein Feuerzeug an den Rand eines glänzenden Acht-mal-zehn-Formats. Als sich eine Flamme entfachte und größer wurde, ließ sie das brennende Foto in den niedrigen Haufen innerhalb des Steinkreises fallen. Zuerst schien die Flamme nicht überzugreifen. Doch dann stiegen schnell flackernde Hitze und Rauchschwaden auf.
    Norah ging wieder hinein, um sich ein weiteres Glas Wasser zu holen. Sie setzte sich auf die Stufe am Hintereingang, nippte und sah sich die Flammen an. Vor kurzem noch hatte die Stadt jegliche Art offenen Feuers verboten, und so hatte sie ein wenig Sorge, daß die Nachbarn die Polizei rufen könnten. Doch es blieb ruhig – sogar die Flammen waren schweigsam, streckten sich in der heißen Luft und schickten einen dünnen Rauchstreif in die Höhe, bläulich wie Nebel. Fetzen schwarzen Papiers schwirrten durch den Hinterhof, tanzten auf den wabernden Hitzewellen wie Schmetterlinge. Als das Feuer im Steinkreis abflaute und zu prasseln begann, fütterte Norah es mit weiteren Fotos. Sie verbrannte Licht, sie verbrannte Schatten, sie verbrannte all die Erinnerungen Davids, die er so sorgsam festgehalten und verwahrt hatte. »Du |489| Bastard«, flüsterte sie und sah die Fotografien hoch aufflammen, bevor sie sich zusammenrollten und in nichts auflösten.
    Licht zu Licht, dachte sie und trat vor der Hitze zurück, vor dem Knistern, während der blätternde Nachlaß in die Luft wirbelte.
    Asche zu Asche. Und schließlich: Staub zu Staub.

|490| 23. Kapitel
    2. Juli 1989
    F ÜR DICH IST ES EINFACH, DAS SO ZU SAGEN, PAUL.« Michelle stand mit verschränkten Armen am Fenster, und als sie sich umdrehte, waren ihre Augen von einem dunklen Schleier überzogen. »Solange du abstrakt sprichst, kannst du sagen, was immer du willst, aber Tatsache ist, daß ein Baby alles verändern würde – vor allem für mich.«
    Paul saß auf dem weinroten Sofa, das warm und unbequem war an diesem Sommermorgen. Er und Michelle hatten es vor Jahren auf der Straße gefunden, als sie zusammengezogen waren, in jenen unbedarften Tagen, als es noch nichts bedeutete, es drei Stockwerke hochzuschleppen. Wenn überhaupt, bedeutete es Erschöpfung, Wein, Gelächter und später sanften Sex auf dem rauhen dunkelroten Bezug. Sie drehte sich wieder weg, um aus dem Fenster zu schauen. Ein Stoß fuhr durch sein Herz. Die Welt fühlte sich zerbrechlich an in der letzten Zeit, wie ein ausgeblasenes Ei, das unter einer sorglosen Berührung zersplittern könnte. Ihr Gespräch hatte friedlich begonnen, es war die einfache Debatte darüber gewesen, wer auf die Katze aufpassen würde, während sie beide nicht in der Stadt waren: Sie auf einem Konzert in Indianapolis, er in Lexington, um seiner Mutter zu helfen. Und nun fanden sie sich plötzlich in diesem Streit wieder, wie so oft in der letzten Zeit. Paul wußte, daß er das Thema wechseln sollte.
    »Zu heiraten bedeutet nicht automatisch, Kinder zu bekommen«, sagte er statt dessen störrisch.
    »Ach, Paul. Sei doch ehrlich. Es ist dein Herzenswunsch, ein Kind zu haben. Ich bin es doch gar nicht, die du willst. Es ist dieses mythische Baby.«
    |491| »Unser mythisches Baby«, sagte er. »Irgendwann, Michelle. Nicht heute. Mir ging es nur darum, mal übers Heiraten zu sprechen. Das ist doch keine große Sache.«
    Sie stöhnte verzweifelt auf. Das Loft hatte einen Parkettboden aus Kiefernholz, weiße Wände und Tupfer der Grundfarben auf Flaschen, Kopfkissen und Sitzpolstern. Michelle trug ebenfalls Weiß, und ihre Haut und ihr Haar hatten die Wärme des Parketts. Paul schmerzte es, als er sie ansah, da er wußte, daß sie sich in gewisser Weise schon entschieden hatte. Bald würde sie gehen, ihre wilde Schönheit und Musik im Gepäck.
    »Es ist interessant«, sagte sie. »Ich finde das wirklich interessant, Paul. Daß all dies nun Thema ist, wo ich kurz davor stehe, eine Karriere zu beginnen. Nicht vorher, sondern jetzt. Irgendein seltsames Gefühl sagt mir, daß du mich dazu bringen willst, dich zu verlassen.«
    »Das ist lächerlich. Es geht hier nicht um Timing.«
    »Nein?«
    »Nein!«
    Für ein paar Minuten sprachen sie nicht, und ein Schweigen erhob sich, füllte den Raum und drückte gegen die Mauern. Paul scheute sich, zu sprechen; doch noch mehr scheute er sich, nicht zu sprechen. Schließlich konnte er es

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