Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
Vom Netzwerk:
Eingangstür aufging, war sie gerade dabei, die welken Blumen wegzuwerfen. Davids Schritte ließen ihr Herz schneller schlagen, und dann stand er in der Tür, erhitzt vom Laufen, in einem dunklen Anzug, der um seinen dünnen Körper schlackerte. Er war müde, und sie sah, wie erleichtert er darüber war, sie in normaler Kleidung zu sehen |70| und in ein sauberes Haus zu kommen, in dem es nach Essen duftete. Im Garten hatte er einen Strauß frischer Osterglocken gepflückt, und seine Lippen waren kalt, als sie ihn küßte.
    »Hallo. Es scheint, als hättest du einen guten Tag verlebt?«
    »Ja, stimmt.« Sie erzählte nur wenig von ihrem Tag und machte ihm statt dessen einen Drink, einen Whisky pur, wie er ihn liebte. Er lehnte am Küchentresen, während sie den Salat wusch. »Wie war’s bei dir?« erkundigte sie sich und stellte den Wasserhahn ab.
    »Es ging, war viel los. Entschuldige die Störung gestern nacht. Ein Patient hatte einen Herzanfall. Glücklicherweise war er aber nicht tödlich.«
    »Hat er sich etwas gebrochen?« fragte sie.
    »Ja, das Schienbein. Er ist die Treppe heruntergefallen. Der Kleine schläft?«
    Norah sah auf die Uhr und seufzte. »Ich sollte ihn besser aufwecken, wenn ich ihn irgendwann einmal an einen Rhythmus gewöhnen will.«
    »Das mache ich«, sagte David und nahm die Blumen mit nach oben. Sie hörte ihn rumoren und stellte sich vor, wie er sich über Paul beugte, um seine Stirn sanft zu berühren und seine kleine Hand zu halten. Nach ein paar Minuten kam David in Jeans und Pulli zurück.
    »Er sah so friedlich aus«, erklärte er. »Lassen wir ihn noch ein bißchen schlafen.«
    Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich nebeneinander aufs Sofa. Für einen Moment war alles wie früher: sie beide im Einklang mit der Welt und einer verheißungsvollen Zukunft. Norah hatte sich vorgenommen, David erst beim Abendessen von ihren Plänen zu erzählen, aber plötzlich hörte sie sich von dem einfachen Gottesdienst sprechen, den sie organisiert hatte, und über die Todesanzeige, die sie aufgegeben hatte. Während ihrer Erklärungen bemerkte sie, daß David immer ernster wurde und sehr verletzt wirkte. Es war, als hätte er eine Maske fallen gelassen, und sie zögerte, da sie |71| den Eindruck hatte, zu einem Fremden zu sprechen, dessen Reaktionen sie nicht vorhersehen konnte. Seine Augen erschienen ihr dunkler als je zuvor, und sie konnte nicht erraten, was in seinem Kopf vorging.
    »Du findest meine Idee nicht gut?« fragte sie vorsichtig.
    »Nein, das ist es nicht.«
    Wieder lag Schmerz in seinen Augen und in seiner Stimme, so daß sie, nur um ihn zu lindern, fast alles rückgängig machen wollte. Aber sie wußte, daß ihre Antriebslosigkeit, die sie nur mit großer Mühe hatte zurückdrängen können, nur darauf wartete, sie erneut zu lähmen.
    »Es hat mir dabei geholfen, so zu sein wie früher, all das zu tun, was du hier siehst. Das kann nicht falsch sein«, rechtfertigte sie sich.
    »Nein, es ist nicht falsch.«
    Eigentlich schien er mehr sagen zu wollen, aber er unterbrach sich statt dessen und stand auf. Er ging zum Fenster und starrte in die Dunkelheit, auf den kleinen Park gegenüber. »Ach, zum Teufel, Norah«, fluchte er mit rauher, tiefer Stimme, in einem Ton, den er ihr gegenüber noch nie angeschlagen hatte. »Warum bist du nur so dickköpfig? Warum hast du mir nicht wenigstens Bescheid gesagt, bevor du die Zeitungen angerufen hast?«
    »Sie ist gestorben«, warf ihm Norah, die nun ihrerseits wütend wurde, entgegen. »Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Es gibt keinen Grund, es geheimzuhalten.«
    David blieb steif am Fenster stehen, ohne sich umzudrehen. Als er mit seinem korallenroten Bademantel über dem Arm im Kaufhaus gestanden hatte, war er ihr eigenartig vertraut erschienen, wie jemand, den sie einst gut gekannt, aber jahrelang nicht gesehen hatte. Doch jetzt, nach einjähriger Ehe, war er ihr seltsam fremd.
    »David, was geschieht mit uns?«
    Er drehte sich nicht um. Der Duft von geschmortem Fleisch und Kartoffeln zog durch den Raum, und vor Hunger |72| zog sich ihr der Magen zusammen, da sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Oben fing Paul an zu schreien, aber sie blieb, wo sie war, und wartete auf eine Antwort.
    »Nichts geschieht mit uns«, sagte er schließlich. Als er sich dann umdrehte, war sein Gesicht noch immer schmerzerfüllt, aber da war auch noch etwas anderes, das sie nicht verstand – eine Art Erleichterung. »Du machst aus einer Mücke

Weitere Kostenlose Bücher