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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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Gastfreundschaft«, hatte er auf eine Karte geschrieben. »Vielleicht sehen wir uns bei meiner nächsten Runde wieder.«
    Caroline nahm die Blumen entgegen und drapierte sie auf dem Teetisch. Aufgewühlt hob sie den »Leader« auf, den sie seit Tagen nicht gelesen hatte, streifte das Gummiband ab und überflog die Artikel, ohne sich auf den Inhalt richtig einzulassen. Eskalierende Spannungen in Vietnam, Society-Klatsch, eine Seite mit Damen aus der Gegend, die die neue Hutkollektion für den Frühling vorstellten. Caroline wollte die Zeitung gerade wegwerfen, als ihr ein schwarz umrandeter Kasten in die Augen fiel:

    Trauergottesdienst
    für unsere geliebte Tochter
    Phoebe Grace Henry
    Geboren und gestorben am 7. März 1964
    Lexington, Presbyterianische Kirche
    Freitag, dem 13. März 1964, um 9 Uhr

    |87| Langsam setzte Caroline sich hin. Sie las die Worte wieder und wieder und berührte sie sogar, als ob sie dadurch irgendwie klarer oder verständlicher würden. Die Zeitung noch in der Hand, stand sie auf und ging ins Schlafzimmer. Phoebe schlief in ihrer Schublade, einen blassen Arm auf den Decken. Geboren und gestorben. Caroline kehrte ins Wohnzimmer zurück und rief ihre Dienststelle an. Ruby war beim ersten Klingeln am Apparat.
    »Ich nehme nicht an, daß du heute kommst?« sagte sie. »Es geht hier zu wie im Irrenhaus. Die ganze Stadt scheint Grippe zu haben.« Dann senkte sie ihre Stimme. »Caroline, hast du schon von Dr. Henry und seinen Babys gehört? Sie haben schließlich Zwillinge bekommen. Der kleine Junge ist wohlauf, ein Prachtkerl. Aber das Mädchen ist bei der Geburt gestorben. Es ist so traurig.«
    »Ich habe es in der Zeitung gelesen.« Carolines Kiefer fühlte sich steif an, ihre Zunge wie gelähmt. »Kannst du Dr. Henry bitten, mich anzurufen? Sag ihm, daß es wichtig ist. Ich habe es gelesen«, wiederholte sie. »Bitte sag ihm das, Ruby, okay?« Dann hängte sie auf und starrte nach draußen auf die Platane und den Parkplatz dahinter.
    Eine Stunde später klopfte er an die Tür.
    »Da sind Sie also«, sagte sie ausdruckslos und führte ihn herein.
    David Henry trat ein und nahm auf ihrem Sofa Platz. Sein Rücken war gekrümmt, und er drehte seinen Hut in den Händen. Sie setzte sich ihm gegenüber in einen Stuhl und betrachtete ihn, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen.
    »Norah hat die Anzeige aufgegeben«, begann er. Als er aufsah, konnte sie nicht umhin, Mitleid für ihn zu empfinden. Mit seinen Sorgenfalten und seinen blutunterlaufenen Augen wirkte er, als habe er tagelang nicht geschlafen. »Sie hat sie aufgegeben, ohne mich zu informieren.«
    »Aber dann denkt sie, daß Ihre Tochter tot ist«, stellte Caroline fest. »Haben Sie ihr das erzählt?«
    |88| Er nickte langsam. »Ich wollte ihr die Wahrheit sagen. Aber als ich dazu ansetzte, konnte ich es nicht. In jenem Moment war ich davon überzeugt, ihr Leid zu ersparen.«
    Caroline dachte an ihre eigenen Lügen, die eine nach der anderen aus ihr hervorgebrochen waren.
    »Ich habe sie nicht nach Louisville gebracht«, sagte sie sanft und nickte in Richtung ihrer Schlafzimmertür. »Sie ist dort drinnen und schläft.«
    David Henry blickte auf. Sein aschfahles Gesicht entmutigte Caroline; nie zuvor hatte sie ihn zittern sehen.
    »Warum nicht?« fragte er aufbrausend. »Warum, in aller Welt, ist sie jetzt hier?«
    »Sind Sie mal da gewesen?« fragte sie vorwurfsvoll, und die blasse Frau, deren dunkles Haar auf den kalten Linoleumboden gefallen war, stand ihr wieder vor Augen. »Haben Sie sich diesen Ort einmal angesehen?«
    »Nein.« Er runzelte die Stirn. »Er ist mir nur sehr empfohlen worden. Ich habe selbst schon Leute dorthin geschickt und nie etwas Negatives von ihnen gehört.«
    »Es war fürchterlich«, platzte es erleichtert aus ihr heraus. Er hatte also nicht gewußt, was er tat. Obwohl sie ihn noch immer hassen wollte, mußte sie an die vielen Nächte denken, die er in der Klinik verbracht hatte, um Patienten zu behandeln, die sich die ärztliche Betreuung, die sie benötigten, nicht leisten konnten. Sie kamen vom Land und aus den Bergen und begaben sich, mit wenig Geld und großen Hoffnungen, auf die beschwerliche Reise nach Lexington. Obwohl seine Partner es nicht gern sahen, hatte Dr. Henry seine Behandlungen fortgesetzt. Sie wußte, daß er keinen schlechten Charakter hatte. Er war kein Monster. Aber ein Trauergottesdienst für ein lebendes Kind, das war monströs.
    »Sie müssen es ihr sagen«, drängte sie ihn.
    Sein Gesicht

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