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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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gemacht. Er konnte jederzeit in seinen Truck steigen, ohne je zurückzukehren, ohne ihr jemals wieder die Chance zu geben, ja zu sagen.
    Sie ergriff seine Hand und küßte ihre Innenseite, die fest und ganz rauh war. Aus seinen Gedanken hochschreckend, |227| wandte er sich ihr zu. »Caroline«, begann er förmlich. »Ich muß dir etwas sagen.«
    »Ich weiß.« Sie legte seine Hand auf ihr Herz und hielt sie dort fest. »O Al, ich war so dumm. Natürlich werde ich dich heiraten.«

|231| 11. Kapitel
    Juli 1977
    N A, WIE IST DAS?« FRAGTE NORAH.
    Sie lag am Strand, und unter ihrer Hüfte verschob sich der grobkörnige Sand. Bei jedem tiefen Atemzug rieselte er unter ihr hervor. Die Sonne brannte heiß und fühlte sich an, als wäre sie eine schimmernde Metallplatte auf ihrer Haut. Schon seit über einer Stunde war sie hier und posierte. Immer wieder nahm sie neue Stellungen ein, wobei ihr die Nähe der Worte »posieren« und »pausieren« wie eine Verhöhnung vorkam, weil sie sich nach einer Pause gesehnt hatte und dies hier so gar nichts Entspannendes an sich hatte. Genaugenommen war es sogar ihr Urlaub; sie hatte diese Reise gewonnen, weil sie letztes Jahr in ganz Kentucky die meisten Kreuzfahrten verkauft hatte – und jetzt war sie hier: Sand klebte auf ihren verschwitzten Armen und dem Nacken, während sie bewegungslos dalag.
    Um sich zu zerstreuen, verfolgte sie Paul, der den Strand entlangrannte, mit den Augen: ein Fleck am Horizont. Er war dreizehn und letztes Jahr aufgeschossen wie ein junger Baum. Groß und linkisch war er geworden und rannte jeden Morgen, als ob er seinem Leben davonlaufen könnte.
    Langsam brachen sich die Wellen am Strand. Die Gezeiten wandelten sich, und die Flut setzte ein. Das grelle Mittagslicht würde sich rasch ändern und es unmöglich machen, das Bild heute noch zu schießen. Eine Haarsträhne kitzelte Norahs Lippe, aber sie zwang sich stillzuhalten.
    »Gut«, lobte David, während er, über die Kamera gebeugt, eine schnelle Fotoserie schoß. »Ja, großartig, das ist wirklich sehr gut.«
    |232| »Mir ist heiß«, klagte sie.
    »Nur noch ein paar Minuten. Wir sind fast fertig.« Nun kniete er, und seine Schenkel hoben sich winterlich blaß vom Sand ab. Er arbeitete viel und verbrachte außerdem lange Stunden in seiner Dunkelkammer, wo er Bilder an die Wäscheleinen heftete, die er von Wand zu Wand gespannt hatte. »Denk an das Meer. Wellen im Wasser, Wellen im Sand. Ich verwandle deinen Körper in Poesie, Norah.«
    Sie blieb still in der stechenden Sonne liegen und sah ihm beim Arbeiten zu, während sie sich an die Anfänge ihrer Ehe zurückerinnerte, als sie händchenhaltend zu langen Spaziergängen durch die Frühlingsnächte aufgebrochen waren, durch die sich der Duft von Geißblatt und Hyazinthen gezogen hatte. Was hatte sie sich damals wohl erträumt, als sie durch das stille, weiche Licht der Dämmerung gegangen war? So ein Leben sicher nicht. In den letzten fünf Jahren hatte Norah das Reisegeschäft in- und auswendig kennengelernt. Sie hatte das Büro organisiert und allmählich damit begonnen, Reisen zu leiten. Sie hatte sich einen festen Kundenstamm erarbeitet und gelernt zu verkaufen. Lebhaft und bis ins kleinste Detail beschrieb sie Orte, die sie selbst noch nie gesehen hatte. Außerdem war sie eine Art Expertin darin geworden, Probleme zu lösen, die in letzter Minute auftauchten, ob es sich nun um verlorenes Gepäck, falsch hinterlegte Reisepässe oder plötzliche Attacken von Lamblienruhr handelte. Letztes Jahr, als Peter Warren sich dazu entschieden hatte, in Rente zu gehen, hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und das Geschäft gekauft. Vom niedrigen Backsteinhaus bis hin zu den Kartons im Schrank mit den leeren Flugtickets gehörte jetzt alles ihr. Ihre Tage waren hektisch, arbeitsreich und befriedigend – aber jeden Abend kehrte sie in die Stille ihres Hauses zurück.
    »Ich versteh das noch immer nicht«, nörgelte sie, als David endlich fertig war, und klopfte und schüttelte sich den Sand von Beinen, Armen und aus dem Haar. »Warum fotografierst |233| du mich überhaupt, wenn du hoffst, daß ich auf den Fotos verschwinde?«
    »Es geht um den Blickwinkel«, erklärte David und sah von seiner Ausrüstung auf. Im grellen Mittagslicht standen seine Haare störrisch ab, seine Wangen und Unterarme waren von der Sonne gerötet. In der Ferne hatte Paul kehrtgemacht und kam langsam zurück. »Es geht um die Erwartung. Die Leute werden sich dieses Bild ansehen und

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