Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
den Arzneien.
»Das ist nur der Anfang. Ich bringe Euch noch …«
»Ich sage Euch, was Ihr mir bringen sollt«, unterbrach sie mich. Sie sprach noch immer leise, aber ihre Stimme hatte wieder die alte Stärke zurückgewonnen. »Die meisten der sogenannten Arzneien taugen nichts. Ich gebe Euch eine Liste der Dinge, die ich benötige.«
Als ich nur stumm nickte, fuhr sie fort: »Weshalb sollte ich glauben, dass Ihr Euer Versprechen haltet, wenn Ihr erst habt, was Ihr sucht?«
»Ich gebe Euch mein Wort …«
Sofias Lachen klang heiser und angestrengt, als ob sie nicht oft lachte.
»Euer Wort? Der einzige Christenmensch, dem es jemals wichtig war, sein Wort gegenüber einem Juden zu halten, war Euer Vater. Aber er ist nicht hier.«
Das schmerzte. Ich sehe meinem Vater vielleicht nicht ähnlich – er war viel dunkler als ich und etwas untersetzt –, aber ich hänge an der Vorstellung, dass ich seinen Charakter geerbt habe. Was verständlich ist, da er mich erzogen hat.
»Mag sein, dass mein Vater nicht hier ist«, erklärte ich kühl. »Doch sein Andenken würde ich niemals verraten.«
Sofia überlegte so lange, dass ich schon fürchtete, sie könne meine Versicherung zurückweisen. Schließlich nickte sie.
»Wir müssen allein reden«, sagte sie mit Blick auf Vittoro.
»Ich warte draußen.« Mit einem warnenden Blick auf Sofia ging Vittoro zusammen mit Benjamin hinaus.
Stille breitete sich in dem kleinen Raum aus, wo der Duft der getrockneten Kräuter an den Dachbalken vergeblich gegen die Ausdünstungen von Tod und Krankheit ankämpfte. Karren rollten draußen auf der Gasse hinter dem Haus vorbei, und dann hörte man aus der Ferne einen Schrei.
»Ich habe Euren Vater im März gesehen. Es war kurz vor Purim«, sagte Sofia schließlich. »Kennt Ihr dieses Fest?«
Ich schüttelte den Kopf. Außer dem oft erhobenen Vorwurf, dass sie Christus getötet hätten, wusste ich so gut wie nichts über die Juden.
»An Purim feiern wir unsere Errettung von einem gewissen Haman, der dem Kaiser von Persien diente und die Vernichtung der Juden forderte.«
Das machte mich neugierig. Auch das war ein Erbteil meines Vaters.
»Und warum hat er das getan?«
Sofia tat überrascht.
»Reicht es denn nicht, dass wir Juden sind? Braucht jemand noch einen anderen Grund, um uns umzubringen?«
Als ich sie sprachlos anstarrte, bekam sie Mitleid mit mir. »Damals wurden wir von einer Frau gerettet. Sie hieß Esther, und ihre Geschichte steht auch in Eurer Bibel. Aber vermutlich seid Ihr nicht allzu vertraut damit?«
Ich schüttelte den Kopf und verkniff mir die Antwort auf diese dumme Frage. Schließlich wusste jeder, dass nur die Priester die Bibel lesen und sie nur über das reden, was ihnen für das Seelenheil ihrer Schäfchen nützlich erscheint.
»Lassen wir das«, sagte Sofia. »Kehren wir lieber zum Thema zurück. Ich sagte, dass ich Euren Vater im März gesehen habe. Damals kam Giovanni zu mir, um sich zu verabschieden.«
» Weshalb sollte er das tun? Er hatte doch nicht vor, Rom zu verlassen.« Jedenfalls nicht, soweit ich wusste. Allmählich wurde mir klar, dass mir mein Vater einiges nicht erzählt hatte.
»Er wollte auch nicht verreisen«, erklärte Sofia. »Er sorgte sich vielmehr, dass sich die Dinge in eine Richtung entwickelten, wo jeder, der davon wusste, in Gefahr geriet. Aus diesem Grund könne er mich nicht mehr besuchen, sagte er.«
»Welche Dinge?«, fragte ich. Hatte mein Vater mich nicht genau um diese Zeit auf das Landgut des Kardinals schicken wollen? Ich protestierte heftig, weil ich mich nicht von ihm trennen wollte, bis er die Entscheidung fürs Erste aufschob. Damals hatte ich große Angst, dass alles längst ausgemacht war und er es mir erst im letzten Moment sagen würde, wenn jeder Widerstand sinnlos war. Dass ich überhaupt mit ihm gestritten habe, beschämt mich noch heute.
Sofia antwortete nicht sofort, sondern lehnte sich zurück und starrte mit entrücktem Blick über meine Schulter hinweg auf die Wand.
»Ihr wisst, dass Euer Vater die Ursachen von Krankheiten erforscht hat?«, fragte sie schließlich.
»Hat er denn mit Euch darüber gesprochen?« Genau genommen hätte mich das nicht überraschen dürfen. Mein Vater musste erkannt haben, dass zu den wenigen Menschen, mit denen er offen über diese Dinge reden konnte,
auch Juden und Muslime gehörten. War es doch allgemein bekannt, dass beide Völker ausgezeichnete Ärzte ausbildeten, und das vermutlich nur, weil sie sich mit Dingen
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