Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
beschäftigten, die den Christen verboten waren.
»Er wusste, dass ich sein Interesse teilte«, sagte Sofia. »Wie Ihr sicher wisst, suchte Giovanni nach Methoden, wie man Krankheiten heilen konnte. Doch in letzter Zeit forschte er vor allem nach einem Mittel, das suggeriert, dass ein Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist.«
Ich hatte Schwierigkeiten, ihr zu folgen, und der Grund für meine Verwirrung war ganz einfach: Wenn der Entschluss gefallen ist, einen Menschen zu töten – ganz gleich, ob durch Gift oder andere Methoden –, so reicht es nicht, das Opfer aus der Welt zu schaffen. Für gewöhnlich ist sogar erwünscht, dass alle Welt davon erfährt oder zumindest fürchtet, dass dieser Mensch absichtlich beseitigt wurde. Nur so kann man sich den gebührenden Respekt verschaffen.
Sofia bemerkte meine Verwirrung und ergriff meine Hand.
»Es tut mir leid, aber da ist noch etwas.«
Das versprach nichts Gutes. Sofia Montefiore hätte wohl kaum die Entfernung zwischen uns durch eine solch mitfühlende Geste überbrückt, wenn sie mir nur Belangloses hätte mitteilen wollen. Und doch hatte ich nicht die leiseste Vorstellung von der Ungeheuerlichkeit, die sie mir in den nächsten Minuten mitteilte.
Auf dem rückweg zum Palazzo sagte ich kein einziges Wort. Vittoro respektierte mein Schweigen und behielt seine
Gedanken für sich. Im Hof verabschiedeten wir uns. Aber statt in meine Räume zurückzukehren, suchte ich die kleine Kapelle auf, wo ich am Sonntag für gewöhnlich der Messe beiwohnte. Um diese Zeit war dort niemand, nur der Duft des Weihrauchs hing noch in der Luft. Ich kniete vor dem ganz in Marmor und Gold gestalteten Altar nieder, sah zu dem Kruzifix empor und betete.
Ich gehöre nicht zu den frommen Frauen, denen die Gnade des bedingungslosen Glaubens beschieden ist. Vielleicht sind meine Gedanken zu rastlos und zu sehr damit beschäftigt, Dinge zu hinterfragen. Oder ich habe mir nur nie Mühe gegeben. Wie auch immer, ein Gebet kam mir jedenfalls nicht leicht über die Lippen.
An diesem Tag aber betete ich, vielleicht ungeübt, doch dafür mit größter Inbrunst. Ich betete, dass der Erlöser der Welt mich von dem Wissen befreien möge, das mir ohne Vorahnung zuteilgeworden war. Oder mir wenigstens einen Weg wies, wie ich damit umgehen konnte.
Wie so oft bekam ich auch diesmal kein Zeichen. Schon immer habe ich Menschen beneidet, deren Gebete beantwortet wurden. Manchmal sogar mit Gerüchen, Geräuschen oder Erscheinungen. Die heilige Katharina von Siena zum Beispiel, die geholfen hat, das Große Schisma zu beenden und das Papsttum nach Rom zurückzubringen, hat angeblich eine mystische Hochzeit mit Christus gefeiert und Visionen von Himmel, Hölle und Fegefeuer erlebt. Und der heilige Thomas von Aquin, der große Philosoph und Theologe, der übrigens angeblich vergiftet wurde, schrieb alles, was er wusste, der Macht der Offenbarung zu. Und dann noch die vielen anderen, die lange Reihe der Heiligen,
deren Leben und Wirken die Kirche uns allen als Beispiel vorführt.
Ich bin bestimmt keine Heilige, und doch habe ich an diesem Tag um einen winzigen Schimmer göttlicher Einsicht gebetet. Als ich mich erschöpft erhob, merkte ich erst, wie lange ich gebetet hatte. Meine Knie schmerzten, als ob ich auf heißen Kohlen gekniet hätte, und der Tag neigte sich bereits dem Abend zu. Ich schlüpfte hinaus, als gerade die ersten Mönche zur Vesper in die Kapelle kamen.
Ich kehrte in meine Räume zurück, wo ich allein zu Abend aß. Danach badete ich und legte mich schlafen. Sofort überfiel mich mein Alptraum, nur dieses Mal viel lebendiger, sodass ich aufwachte. Ich zitterte am ganzen Körper und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Da nicht mehr an Schlaf zu denken war, setzte ich mich an den kleinen Tisch am Fenster und suchte die übrige Nacht in den Aufzeichnungen meines Vaters nach Hinweisen auf die Ungeheuerlichkeit, die ich an diesem Tag erfahren hatte.
Vermutlich wollt Ihr wissen, was mir Sofia Montefiore im Leichenhaus des Ghettos anvertraut hat. Nun gut, ich habe Euch gewarnt. Solches Wissen ist wie ein Fluch. Es reißt uns aus dem Paradies des Nichtwissens, in dem wir sorglos und fröhlich leben und nicht ahnen, dass unser Leben bei dem kleinsten Fehltritt aus den Fugen geraten kann.
7
»Als ich Euren Vater zuletzt gesehen habe«, hatte Sophia gesagt, »war er verzweifelt und von Kummer gebeugt. So hatte ich ihn nie zuvor erlebt. Er konnte nur unter größten Mühen sprechen.
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