Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Was nur zu verständlich ist, denn wenn wir vom Bösen sprechen, erwacht es zum Leben.«
Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht. »Ihr werdet wissen wollen, ob er wusste, was er tat. Aber er hat nichts gesagt, und ich habe nicht gefragt. Es reichte schon, dass er fand, wonach er gesucht hatte.«
»Und was genau war das?« Ich wurde allmählich ungeduldig, weil sie um den heißen Brei herumredete. Gott, vergib mir, aber ich begriff noch immer nichts.
Sofia Montefiores Augen waren von dunklen Ringen umgeben und blutunterlaufen, aber woran ich mich am besten erinnere, war die undurchdringliche, tiefe Traurigkeit in ihrem Blick.
»Offenbar ist Seine Heiligkeit nicht damit zufrieden, dass alle Juden aus Spanien vertrieben werden und großes Leid über uns alle gekommen ist. Um seine Seele vor dem Fegefeuer zu bewahren, bereitet er gegenwärtig ein Edikt vor,
das uns aus der gesamten Christenheit vertreiben soll und jeden, der sich widersetzt, mit dem Tod bedroht.«
Je mehr ihre Wut zurückkehrte, desto lauter wurde ihre Stimme. »Innozenz will seine Macht nutzen und die Juden aus dem Kirchenstaat vertreiben. Aber damit nicht genug. Er will alle Könige und Herren aufrufen, seinem Beispiel zu folgen und die Christenheit von diesem Abfall zu befreien. Innozenz schreckt auch nicht vor dem stärksten Mittel zurück und droht allen, die sich widersetzen, mit Exkommunikation. Und er will die Ungläubigen auf uns hetzen und sie ermutigen, die Juden ein für alle Mal vom Angesicht der Erde zu tilgen.«
Sie legte ihre abgearbeiteten Hände, an denen noch immer das Blut der jungen Frau klebte, flach auf den Tisch und sah mich an. »Falls dieses Edikt erlassen wird, muss das jüdische Volk um seine Vernichtung fürchten.«
Ich hörte sie, ja, natürlich hörte ich sie. Ich verstand sogar alles. Mehr oder weniger … Juden … Schwierigkeiten … Vernichtung … Ja, ja, so weit war alles klar … doch, Gott vergib mir … das, was für mich in diesem Augenblick zählte, war die Frage, was das alles mit meinem Vater zu tun hatte.
Sofia Montefiore behauptete, dass mein Vater über das Schicksal der Juden völlig verzweifelt gewesen war. Das war immerhin möglich. Mein Vater hatte ein sanftes Herz, das seinem Beruf manchmal zuwiderlief. Ich erinnere mich, dass er einmal einen Vogel mit gebrochenem Flügel gesund gepflegt hatte, während wir zur gleichen Zeit den Hunden und anderen Tieren, an denen wir neue Giftstoffe erprobten, einen gnädigen Tod verschafften.
Angenommen, mein Vater hätte entdeckt, dass ein solches
Edikt in Vorbereitung war, was hätte er getan? Hätte er die Juden gewarnt? Seit ich wusste, dass er eine Jüdin zu seinen Freunden zählte, konnte ich mir das vorstellen. Aber falls Sofia Montefiore die Wahrheit sagte – was meiner Meinung nach noch immer nicht geklärt war –, war mein Vater ein ganzes Stück weitergegangen, so weit, dass er befürchten musste, jeder, der mit ihm in Verbindung stand, könnte in ernste Gefahr geraten.
Sofia zufolge hatte mein Vater in letzter Zeit nach einer Möglichkeit gesucht, den Tod eines Menschen natürlich aussehen zu lassen.
Ich zog den Schal enger um mich, um die Furcht im Zaum zu halten, die mich auf einmal überfiel. Durch das Fenster nahm ich sie wie einen dunklen Schatten wahr, die mächtigen Türme des Vatikans, die Zitadelle der Christenheit. Ich stellte mir vor, dass Seine Heiligkeit jetzt ruhiger schlief, seit sich seine Gesundheit nach dem Tod meines Vaters so plötzlich gebessert hatte.
Am Morgen verließ ich den Palazzo schon sehr früh. Die Straßenreiniger, die in der vornehmen Nachbarschaft alle Hände voll zu tun hatten, spritzten gerade Wasser auf das Pflaster, um es dann mit groben Besen zu schrubben. Ich erinnerte mich an Borgias Wunsch und befahl einem der jungen Wachsoldaten, mich zu begleiten. Als er den Hauptmann verständigen wollte, winkte ich ab.
»Dafür ist keine Zeit«, erklärte ich. »Oder willst du dem Hauptmann erklären, weshalb ich ohne Begleitung ausgehen musste?«
»Nein, nein, Donna Francesca«, wehrte er ab und trottete hinter mir her.
Ich legte eilig den Weg zum Palazzo Orsini zurück, aber ich konnte vor meinen Ängsten nicht davonlaufen. Gar zu gern hätte ich mir eingeredet, dass mein Verdacht falsch und meine Ängste übertrieben waren. Aber meine schmerzenden Rippen erinnerten mich bei jedem Schritt an den Überfall – und an die Warnung, die ich erhalten hatte.
Da ich
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