Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Heiligenschein
umgaben, ließen sie wie einen Engel aussehen. In späteren Jahren, als man sie schrecklicher Verbrechen anklagte, redeten die Menschen noch immer von ihrem wunderschönen Haar.
»Tut es noch weh?«, fragte Lucrezia – ein Beweis für ihre Beharrlichkeit, durch die sie später so manches Unglück meisterte, das andere Menschen umgebracht hätte.
»Überhaupt nicht«, versicherte ich.
»Gut.« Sie lächelte spitzbübisch. »Ich weiß etwas, das Ihr sicher gern hören würdet. Ein Geheimnis.«
Sicher kannte Lucrezia mehr Geheimnisse als jede andere junge Frau ihres Alters. Mich überraschte höchstens, dass sie mir plötzlich eines davon wie ein Stück Marzipan darbot.
»Verratet es mir!«
»Cesare will nach Rom kommen, obgleich mein Vater befohlen hat, dass er in Pisa bleiben soll. Aber die Universität langweilt ihn. Er hat Angst, etwas zu versäumen, und will trotzdem kommen.«
Wenn sie von jemand anderem als ihrem ältesten Bruder gesprochen hätte, hätte ich das als pure Angeberei abgetan. Aber Cesare hatte die nötige Leidenschaft und den Mut, um seinen Vater herauszufordern und trotzdem ungeschoren davonzukommen. Wie jeder wusste, war Il Cardinale seinem Ältesten gegenüber sehr nachsichtig, den er für die Laufbahn in der Heiligen Mutter Kirche vorgesehen hatte.
Wie immer brachte mich der Gedanke an Cesare als Priester zum Schmunzeln. Lucrezia ging sofort darauf ein. »Mein Bruder bringt Euch zum Lächeln?«
Cesare hat eine ganze Menge mit mir angestellt, und auf das meiste werde ich zu gegebener Zeit noch zu sprechen
kommen. Aber ja, unter gewissen Umständen entlockte er mir durchaus ein Lächeln.
» Verzeiht, Madonna«, sagte ich förmlich, »aber ich habe im Moment an etwas völlig anderes gedacht.«
»Oh, nein, das stimmt nicht«, erklärte Lucrezia sehr zu Recht. »Versucht gar nicht erst, mir etwas vorzumachen. Ihr seid ebenso fasziniert von Cesare wie alle anderen.«
Fasziniert? Vermutlich stimmte das sogar, aber ich war auch misstrauisch.
»Ich habe ihm von Eurem Vater berichtet«, sagte Lucrezia. »Cesare schreibt, dass er sehr betrübt ist. Und er ist sicher, dass Ihr Eure neue Aufgabe bewundernswert erfüllt.«
Gott, verzeih mir, aber ich errötete tatsächlich. Lucrezia musste lachen. Doch gleich darauf war sie wieder ernst.
»Cesare ist wirklich nicht so schlimm, wie alle sagen, nicht wahr, Francesca? Trotz allem, was er sagt oder tut, hat er ein gutes Herz.«
Falls sie ein kräftiges Herz meinte, das seinem Besitzer keine Schwierigkeiten machte, so war sie sicherlich im Recht. Abgesehen davon …
»Ich bin sicher, dass Ihr keinen besseren Bruder haben könntet.«
»Das ist wahr, aber mir ist auch zu Ohren gekommen, dass er ein sehr guter Liebhaber sein soll. Ist das ebenfalls wahr?«
Seid Ihr erschrocken? Denkt Ihr vielleicht schon an die grauenhaften Gerüchte, die Lucrezia und Cesare später umgaben? Gerüchte, die absolut falsch waren – das erlaube ich mir anzumerken.
»Ich kann das nicht beurteilen …« Selbst in meinen Ohren
klang das äußerst schwach. Zwangsläufig, da es nicht zutraf. Nehmen wir an, dass Cesare nach der ersten Begegnung mit mir, bei der er vor der Erkenntnis zurückschreckte, dass ich die Tochter Giovanni Giordanos war, mich doch weiterer Verehrung für wert befand, so spricht das doch wohl eher für seinen Wagemut als für meine Reize.
Lasst uns weiter annehmen, dass er mich in der Nacht, ein paar Tage, nachdem ich Roccos Antrag abgelehnt hatte und meine Seele noch äußerst mitgenommen war, zufällig in der Bibliothek überraschte. Ich war wieder einmal in Dante vertieft – wie immer mein Verderben. Ihr müsst wissen, dass ich nach diesen aufregenden Entscheidungen Trost in vertrauter Lektüre suchte. Mein Vater war oben in unserer Wohnung, der Kardinal besuchte La Bella, und im Palazzo war alles ruhig.
Cesare sollte eigentlich in Pisa sein, um sich mit seinem Mitstudenten, dem Erben der Medici, zu messen, und sich als Wissenschaftler hervorzutun. Allen Berichten zufolge brillierte Cesare in beidem – dank seiner geistigen Beweglichkeit und seiner talentierten Zunge. Einer sehr talentierten Zunge.
Er war für ein paar Tage nach Rom gekommen, weil er seinen Vater umzustimmen versuchte. Lacht jetzt nicht, oder wenn Ihr nicht anders könnt, so wenigstens nicht zu laut – Rodrigo Borgia hatte seinen Ältesten tatsächlich für die kirchliche Laufbahn bestimmt. Mit gerade einmal sieben Jahren hatte Cesare schon ein erstes
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