Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
sehr schlecht schläft, wenn überhaupt. Das ist noch nie passiert. Früher konnte ihn nichts aus der Ruhe bringen.«
»Es tut mir leid, das zu hören. Könnt Ihr Euch vorstellen, welche Sorgen ihn so belasten?«
Einen Augenblick fürchtete ich, zu deutlich geworden zu sein. Aber Lucrezia lehnte sich zurück und betrachtete mich nachdenklich.
»Ich weiß nur, dass ihn der Tod Eures Vaters sehr mitgenommen hat. Als die Nachricht kam, war er hier bei uns, und ich fürchtete schon … Sagen wir es lieber so: Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt.«
Tatsächlich? Und solch eine starke Reaktion von einem Mann, der keinen Finger gerührt hat, um die Mörder meines Vaters zu finden, geschweige denn sie zu bestrafen.
»Das ist doch ganz natürlich, wenn einem Bediensteten etwas zustößt, meint Ihr nicht?«
»Euer Vater war doch mehr als ein Bediensteter«, belehrte sie mich. » Papà hat ihm unser aller Leben anvertraut, und … Geheimnisse, die vielleicht nicht mit ihm gestorben sind?«
Sie blickte mir geradewegs ins Gesicht, und ich sah, wie ihre Augen in der Sonne golden schimmerten. In diesem Moment begriff ich, dass Lucrezia genauso darauf aus war, Neues von mir zu erfahren, wie ich von ihr. Ganz nebenbei war die Tochter des Kardinals in der Kunst der Intrige sehr viel bewanderter, als ich das je sein würde.
»Was bringt Euch auf diesen Gedanken?«, fragte ich, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
»Es gibt keinen wirklichen Grund. Ich sage das nur, weil papà so außer sich war, als es geschah, und sich seitdem so verändert hat.«
»Aber er hat nichts Genaueres über den Tod meines Vaters gesagt?«
Lucrezia zögerte.
»Nur eines: Alea iacta est!
Die Würfel sind gefallen. Dieselben Worte, die Caesar angeblich am Ufer des Rubikon gesprochen hat, bevor er Rom eroberte und sich zum Herrscher aufschwang.
Lucrezia hatte eine vornehme Erziehung erhalten und sprach mehrere Sprachen, darunter auch Latein. Sie konnte ihren Vater verstehen, aber ich bezweifelte, dass sonst jemand im Harem von Rodrigo Borgia des Lateinischen mächtig war. Selbst in größter Erregung war der Kardinal noch darauf bedacht, seine Gedanken zu verbergen.
Ich habe ebenfalls eine gute Erziehung genossen, und ich verstand den Satz nur zu gut. Dennoch fragte ich:
»Welche Würfel? Was ist damit gemeint?«
Lucrezia warf den Welpen ein Stückchen Brot zu und zuckte die Achseln.
»Vielleicht könnt Ihr mir das ja verraten?«
Was Intrigen anlangte, war ich zwar unerfahren, aber ich wusste, dass ich nun meinerseits etwas enthüllen musste, wenn Lucrezia mir auch in Zukunft wohlgesinnt sein sollte.
Ich ließ mir einige Augenblicke Zeit.
»Vielleicht hat mein Vater etwas für den Kardinal getan, vor dem es kein Zurück mehr gibt.«
»Aber was könnte das sein?« Meiner Meinung nach liebte Lucrezia ihren Vater über alles, trotzdem zog sie die Brauen zusammen. »Darum geht es doch, nicht wahr?«
Ich wünschte, dass es so einfach wäre, doch inzwischen bestand kein Zweifel mehr an dem ungeheuerlichen Ausmaß dessen, was mein Vater getan hatte. Er hatte einem Mann gedient, der keine Ruhe geben würde, bevor er nicht auf dem Papstthron saß. Überdies hatte er sich zutiefst um ein Volk gesorgt, dessen Überleben allein auf der Hoffnung gründete, den jetzigen Inhaber des Throns auf die einzig mögliche Art zu entfernen – durch seinen Tod.
Abgesehen davon, dass mein Vater tot war, hatte sich
nichts verändert. Borgia und sein maßloser Ehrgeiz, die Juden und der messerscharfe Grat, der sie von der Vernichtung trennte, und dann ich selbst, die ich den Tod meines Vaters rächen wollte und begriff, dass man mich zu einem neuen Mord drängte, der die gesamte Christenheit erschüttern und meine Seele auf ewig verdammen würde.
8
Bei meiner Rückkehr aus dem Palazzo Orsini stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass ich einen kleinen Aufschub erhalten hatte. Der Kardinal war inzwischen in seine Amtsräume in der Kurie aufgebrochen, nicht ohne sein Missfallen zu äußern, dass man mich nicht angetroffen habe, als er mich habe rufen lassen. Er erwarte, dass ich bei seiner Rückkehr am Nachmittag zur Verfügung stünde, richtete mir Vittoro aus.
Missbilligend schüttelte er den Kopf.
»Ihr habt den armen Jofre ausgenützt.« Er meinte den jungen Soldaten, den ich genötigt hatte, mich zu begleiten. »Jetzt muss der arme Kerl eine Woche lang die Latrine schrubben.«
»Es tut mir leid«, sagte ich, ohne wirklich zerknirscht zu sein.
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