Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
gewagt hatte, um eine sündige Seele zu retten. Dann ließ ich mich langsam vom Rand in den Schacht hinunter. Sekunden später umfing mich klamme Feuchtigkeit. Von tief unten stieg ein grauenhafter Gestank empor. Eine Mischung aus menschlichen Ausscheidungen, Mist, Schlamm, verwesenden Knochen und der Himmel weiß was sonst noch. Ich musste schlucken, um weder an meine geschundenen Rippen zu denken noch daran, dass ich keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatte.
Viel zu schnell entfernte sich das Licht, wurde zu einem Viereck über meinem Kopf, und dann tauchte ich vollkommen in die Dunkelheit ein. Vittoro ließ das Seil Stück für Stück abwärtsgleiten. Aus Angst, dass ihn später bei David die Kräfte verließen, stemmte ich Arme und Beine gegen die Mauern und versuchte, aus eigener Kraft langsam tiefer zu klettern. Eine übermenschliche, schmerzhafte Prozedur. Scharfkantige Steine schnitten mir in die Haut, während um mich herum stockfinstere Nacht herrschte. Ich kann nicht behaupten, dass ich in engen Räumen unter Beklemmungen litt, worüber viele Menschen klagen. Aber diese finstere Enge ließ das ganze Elend meines schrecklichen Alptraums von neuem in mir emporsteigen.
Um mich zu sammeln, schloss ich die Augen. Doch schon sah ich hinter den geschlossenen Lidern, wie glänzender Stahl herabsauste, und meinte einen Moment lang, Blut zu riechen. Als ich voller Entsetzen die Augen aufriss, war ich verblüfft. Offenbar hatte ich mich inzwischen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich vage Umrisse der Steine erkennen konnte. Von diesem Moment an war es leichter, geeignete Spalten für Finger und Knie zu finden, ohne dass ich mich ständig verletzte.
Je tiefer ich gelangte, desto erleichterter war ich. Offenbar bot der Schacht genügend Platz für einen Mann wie David. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass meine Gebete erhört wurden und nicht noch irgendwelche Hindernisse auftauchten. Als nichts dergleichen geschah, wuchs meine Zuversicht mit jedem kleinen Stück, das ich vorankam, und voller Aufregung erblickte ich endlich ein helles Viereck unter mir. So gut es ging, bereitete ich mich auf den Augenblick vor, wenn ich das Wasser des Grabens erreichte. Doch urplötzlich straffte sich das Tau und beendete meinen Abstieg. Hoch über mir hörte ich Vittoro fluchen.
Einen Augenblick später verstand ich. Das Tau war zu kurz. Weiter hinunter kam ich nicht. Doch wenn Vittoro mich wieder nach oben zog, war alles umsonst. Dann waren wir in der Burg gefangen.
Ich wand mich und zappelte so lange, bis meine Füße festen Halt fanden und ich das Tau ein wenig lockern konnte. Mit Mühe gelang es mir, es über den Kopf zu streifen. Einen Augenblick lang hing ich mit beiden Händen an der Schlaufe. Weder wusste ich, wie weit die Oberfläche des Grabens entfernt war, noch ob das Wasser überhaupt tief
genug war, um meinen Fall wie ein Kissen zu dämpfen. Aber ich hatte keine Wahl.
Ich holte tief Luft, presste Mund und Augen fest zusammen … und ließ mich fallen.
Mein Körper sauste so schnell nach unten, dass mir das Herz stehen blieb, doch nach ungefähr dreißig Metern landete ich im Wasser und ging augenblicklich unter. Meine Füße berührten einen seltsam weichen Schlick, der mich festzuhalten drohte, doch ich riss mich mit aller Kraft los und schwamm nach oben. Nachdem ich durch eine dicke Schicht von Ablagerungen hindurchgetaucht war, bekam ich endlich wieder Luft.
Um mich von dem Zeug zu befreien, schüttelte ich den Kopf und öffnete die Augen. Der Gestank war bestialisch. Und dann sah ich zu meinem Entsetzen, dass der Graben einige Fuß tiefer lag als die gegenüberliegende Mauer. Einen schrecklichen Moment lang wähnte ich mich erneut in der Falle, aber dann erkannte ich eiserne Stufen in der Wand und hätte vor Erleichterung beinahe aufgeschrien.
Nachdem ich hinaufgeklettert und bäuchlings auf dem Gras gegenüber der Burg zusammengebrochen war, klatschte David in den Graben. Ich wartete, bis er endlich auftauchte, und deutete dann auf die Eisenstufen. Kurz darauf war er bei mir, und wir rannten zusammen zum Flussufer hinüber, während uns die stinkende Brühe aus den Kleidern lief.
»Die Brücke ist bestimmt bewacht«, keuchte er. »Dort kommen wir nicht auf die andere Seite.«
Natürlich hatte er recht. Wir mussten einen anderen Weg finden. Aber wo? Verzweifelt sah ich mich um, dann deutete ich den Fluss entlang.
»Dort hinten … Ponte Sisto! Falls wir das schaffen.«
Und falls sie
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