Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
nicht auch von condottieri bewacht wurde.
Wir bewegten uns so vorsichtig wie möglich stromaufwärts und nutzten jeden Schatten entlang des Ufers. Im Augenblick herrschte Ebbe, was den Gestank um uns herum noch verstärkte. Zum Glück gewöhnte man sich schnell daran. Bei jedem Schritt sanken wir tief im Uferschlamm ein, was das Gehen äußerst erschwerte und sehr viel Zeit kostete. Zwei Mal stolperte ich und wäre gefallen, hätte mich Davids starker Arm nicht davor bewahrt. Überall, wo Abwasserrohre in den Fluss mündeten, scheuchten wir ganze Kolonien von Ratten auf, die mit hohen Quiektönen durch die Dunkelheit irrten. Unter anderen Umständen wäre ich vor Schreck erstarrt, aber angesichts der überstandenen Strapazen und der Gefahr, die noch immer über uns schwebte, rannten David und ich einfach mitten hindurch, sodass sich die graue Masse vor uns teilte und wie eine Welle zu beiden Seiten davonfloss.
»Wir müssen Rocco unbedingt warnen«, keuchte ich. Gebe Gott, dass wir noch rechtzeitig kamen.
In Sichtweite der Brücke zog David mich zu sich hinunter. Aufmerksam kontrollierten wir, ob die Brücke bewacht wurde. Der Kommandant der Engelsburg hätte einige Soldaten hierherbeordern können und hätte das sicher auch getan. Doch wenn Vittoro recht hatte und einige Soldaten in der Garnison mit Borgia sympathisierten …
»Da ist niemand«, stellte David fest, und tatsächlich regte sich nichts. Die Brücke war unbewacht.
Zusammen rannten wir auf die andere Seite, über die antiken Wälle, die Rom einst vor den barbarischen Horden
bewahren sollten. Sie hatten allerdings unglücklicherweise nicht standgehalten, sodass man sie nicht wieder aufgebaut hatte. Durch eine Öffnung, wo früher einmal ein Tor gestanden hatte, gelangten wir in die Stadt.
Kurz darauf erreichten wir den großen Markt, doch bis auf einige Tavernen und Bordelle war die Gegend wie ausgestorben. Vor der Gasse der Glasbläser vergewisserten wir uns, dass keine Soldaten in der Nähe waren. Als alles ruhig blieb, schlichen wir durch einen kleinen Durchgang zur Rückseite von Roccos Werkstatt. Ich klopfte an die Tür zum Hof und rief leise seinen Namen.
»Rocco … wir sind es.«
Schon wurde die Tür aufgerissen. Rocco sah zerzaust und müde aus, war aber unendlich erleichtert, uns zu sehen. »Francesca!«, rief er und wollte mich schon umarmen, als er plötzlich einen Schritt zurückwich. Offenbar hatte ihn der Gestank überwältigt.
»Wo habt ihr … was ist …?« Statt weiterer Worte trat er beiseite und ließ uns eintreten.
Nun waren wir fürs Erste in Sicherheit. Rocco zündete eine Lampe an und musterte uns von Kopf bis Fuß. Ich weiß nicht, welchen Anblick wir geboten haben, aber wie wir gestunken haben, ist mir unvergesslich.
»Wir mussten durch den Burggraben entkommen, deshalb der Gestank«, begann ich, »aber das ist im Augenblick nicht weiter wichtig. Das Ganze war eine Falle. Morozzi ist keiner von uns. Er ist wahnsinnig und will Borgia und alle Juden umbringen. Wir müssen sofort verschwinden, und zwar alle.«
Ich muss anerkennend bemerken, dass Rocco keine Sekunde
zögerte. Er löschte die Lampe und nahm seinen Umhang vom Haken.
»Dann lasst uns gehen«, sagte er nur.
»Habt Ihr denn schon eine bestimmte Vorstellung, wo wir uns verstecken könnten?«, fragte David, während wir aus der Werkstatt hasteten und uns erneut auf den Weg machten.
»Ich weiß nur einen Ort«, sagte Rocco und begann zu laufen. David und ich rannten hinter ihm her. Jenseits des Markts hielten wir uns im Schatten des antiken Pantheons mit seiner prächtigen Kuppel. Als einziges antikes Gebäude hatte es die Jahrhunderte unversehrt überdauert und gemahnte die heutigen Römer an vergangene Größe. Noch ein paar Straßen weiter, und wir standen auf der Piazza Minerva, die nach der antiken Göttin der Weisheit benannt ist.
Wir hielten uns stets im Schatten der Gebäude und horchten auf die leisesten Geräusche, um nicht plötzlich überrascht zu werden. Um diese Uhrzeit zogen sich die Diebesbanden nach ihren nächtlichen Streifzügen gern in die Tavernen zurück, die die ganze Nacht über geöffnet waren. Wer sich nicht um den Verstand soff, würde kurz vor Tagesanbruch, befeuert vom roten umbrischen Wein, die Straßen zum zweiten Mal und noch brutaler heimsuchen.
Bis zu dieser Stunde mussten wir unser Versteck erreicht haben. Im nächsten Moment wusste ich, wohin Rocco uns führte.
»Seid Ihr sicher?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme,
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