Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
welche besaß.
»Ja, gewiss, ich denke, dass ich vieles sehe, aber in einem solch bedeutenden Haus wie diesem ist das auch nötig. Schließlich verlässt sich Seine Eminenz auf mich.«
»Das tut er, Renaldo, das tut er wirklich. Genau wie wir alle. Aus diesem Grund zähle ich auf Euch.«
Vor Aufregung hüpfte sein Adamsapfel auf und nieder.
»Ich weiß natürlich nicht offiziell, wohin sich Seine Eminenz begeben hat, aber …«
»Aber …?«
Er senkte seine Stimme zum Flüsterton.
»Mitten in der Nacht kamen Boten und wollten ihn sprechen. Keiner von uns wusste, was er sagen sollte. Dabei wussten wir alle, wo der Kardinal war. Natürlich bei La Bella, aber das wollte niemand verraten.«
»Natürlich nicht.« Dem konnte ich nur zustimmen. »Wir wissen doch alle, dass Seiner Eminenz Verschwiegenheit über alles geht.«
»Genau! Ich hoffe, er weiß, dass keiner von uns etwas ausgeplaudert hat.« Er senkte die Stimme. »Bei Tagesanbruch kam er nach Hause. Offenbar hatten die Boten ihn trotzdem ausfindig gemacht. Er war in einer schrecklichen Verfassung. Er hat gebrüllt wie ein Stier, wenn ich das so sagen darf, und nach Euch verlangt. Und nach dem Hauptmann. Als er hörte, dass niemand da war … Ich dachte, dass der Vesuv explodiert! Kurze Zeit später war er angekleidet, und dann war er auch schon fort … Zur Kurie, vermute ich, obgleich ich das nicht beschwören kann.«
Ich versuchte, meine Aufregung im Zaum zu halten.
»Wie lange ist das her?«
Für meinen Geschmack überlegte Renaldo sehr lange.
»Noch keine Stunde«, sagte er dann. »Ist das denn wichtig? «
Vielleicht … oder vielleicht auch nicht. Borgia würde zwar alles so lange wie möglich hinauszögern, aber letztlich lag die Autorität allein bei Innozenz. Wenn er entschlossen war, das Edikt zu unterzeichnen, würde er es tun … falls noch genügend Atem in seinem Körper war.
Obwohl es zunehmend wärmer wurde, fror ich plötzlich.
Ich stand in Renaldos Arbeitszimmer – inmitten der vielen Bücher, Aufzeichnungen, Verträge, Listen, Rechnungen und allem, was in einem solchen Haus anfiel – und wähnte mich am Rand eines Abgrunds. Ich konnte förmlich spüren, wie der sichere Boden unter mir nachgab.
So viele Menschen, solcher Schmerz, all das hing von einem einzigen Augenblick ab, von der Pause zwischen zwei Herzschlägen.
Gott, ich bitte dich …
»Geht es Euch gut?« Wie aus weiter Ferne drang Renaldos Stimme an mein Ohr. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war er aufgestanden und sah mich voller Sorge an.
Gott, ich bitte dich … für David, Sofia, Benjamin und für alle anderen …
»Signorina …?« Ganz entfernt nahm ich Renaldos besorgtes Gesicht wahr und fragte mich, was die Ursache dafür war …
Und dann wusste ich es. Hinter ihm erblickte ich eine ausgedehnte, öde Landschaft, in der alles zerstört war und nichts Menschliches mehr lebte, aus der schwarzer Rauch aufstieg und den Himmel verdunkelte und Wölfe vor Kummer heulten.
Voller Entsetzen wich ich zurück und schrie auf. Und dann sah ich den Lichtstrahl, der mir zeigte, wie ich dem Elend entrinnen konnte. Ich sah ihn und ergriff ihn.
Gott, ich beschwöre dich, und wenn meine Seele der Preis dafür ist, so gebe ich sie gern …
»Signorina!«
Lärm drang in mein Bewusstsein. Dröhnendes Glockengeläut verdrängte alle Gedanken, alle Angst, und erfüllte die
Luft, den Atem und alles Sein. Töne, wie ich sie nie zuvor und auch danach nie mehr vernommen habe.
Und es wollte kein Ende nehmen … Die Glocken Hunderter römischer Kirchen vereinten sich, bis die Luft vibrierte. Es kam näher und näher, rennende Schritte, als ob die Erde bebte, dann Stimmen im Palazzo, draußen auf der Straße, im Viertel, in der Stadt Rom, in der ganzen Welt.
Unendlich viele Stimmen vereinten sich zu einem einzigen Aufschrei: Il Papa è morto! Il Papa è morto!
Der Papst ist tot.
Die Antwort auf meine Gebete? Vielleicht, aber seitdem beschäftigt mich eine Frage in den dunklen Tiefen meiner Seele: Durch wessen Hand?
21
Nach dem Tod des Papstes kehrte Borgia drei Tage lang nicht in den Palazzo zurück. Er blieb im Vatikan, um als Vizekanzler der Kurie die päpstliche Beisetzung vorzubereiten.
Inzwischen kursierten wilde Gerüchte. Innozenz sei ermordet worden. Nein, er sei seinen zahlreichen Krankheiten erlegen. Oder durch den Fluch einer Zigeunerin gestorben? Oder womöglich auf Grund einer antiken Vorhersage, die man im Grab eines der Cäsaren gefunden hatte? Oder …
Da ich
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