Die Tochter des Goldsuchers
musste einen Entschluss fassen, und dafür brauchte sie einen klaren Kopf.
Eine Zeit lang hatte sie am Abend mit dem Gedanken gespielt, einfach in den Ort zurückzufahren und von einem Teil des Geldes, das sie gefunden hatte, eine Fahrkarte für die nächste Kutsche nach Osten zu kaufen. Im besten Fall würde Lucillas Familie sie mit offenen Armen empfangen, im schlimmsten Fall konnte sie in das Kloster zurückkehren. Doch dies waren Überlegungen gewesen, bevor sie im Tagebuch ihres Vaters gelesen hatte.
Er hatte an dem Tag zu schreiben begonnen, als er sie verlassen hatte und nach Westen aufgebrochen war. Aus jedem seiner Worte sprach Liebe und Traurigkeit. Der Tod seiner Frau machte ihm immer noch sehr zu schaffen.
Zum ersten Mal konnte Sarah vollständig erfassen, wie sehr ihn der Verlust ihrer Mutter getroffen und wie unbeholfen er sich gefühlt hatte, allein mit einem kleinen Mädchen dazusitzen. Er hatte seiner Frau auf dem Sterbelager versprochen, dass er gut für Sarah sorgen würde.
Er ist hierhergekommen, um sein Glück zu versuchen, dachte Sarah und warf die Decke zurück. Und bestimmt hatte er sein Bestes gegeben. Nun musste sie überlegen, wie es weitergehen sollte. Doch um in Ruhe nachdenken zu können, musste sie zuerst etwas in den Magen bekommen.
Nachdem sie sich frisch gemacht und in Rock und Bluse geschlüpft war, schaute sie in die Speisekammer. Auf kalte Bohnen hatte sie wirklich keinen Appetit. Vielleicht gab es irgendwo einen Vorratskeller oder eine Räucherkammer.
Sarah stieß die Tür auf und blinzelte, geblendet vom grellen Sonnenlicht.
Zuerst glaubte sie an eine Fata Morgana. Aber eine Fata Morgana roch doch nicht, oder? Der Duft von gebratenem Fleisch und frisch aufgebrühtem Kaffee stieg ihr in die Nase. Sie sah Jake Redman mit gekreuzten Beinen vor einer Feuerstelle sitzen. Einen Augenblick lang vergaß sie den Hunger, raffte ihren Rock und trat auf ihn zu.
»Was machen Sie denn hier?«, wollte sie wissen.
Er sah auf, nickte ihr kaum merklich zu und goss Kaffee aus einer kleinen Kanne in eine zerbeulte Tasse. »Ich frühstücke.«
»Sie sind den ganzen Weg hierhergeritten, um zu frühstücken?« Sie wusste nicht, was er da auf dem Spieß über dem Feuer briet, aber sie hätte jetzt fast alles gegessen.
»Nein.« Er prüfte den Braten und befand ihn für gar. »Ich bin gar nicht zurückgeritten.« Er wies mit dem Kopf in Richtung Felsen. »Hab mir da drüben mein Lager gemacht.«
»Dort?« Sarah blickte verwundert drein. »Wozu denn das?«
Er sah wieder zu ihr auf. Unter seinem durchdringenden Blick fühlte sie, wie ihre Hände zitterten. »Sagen wir, der Ritt zurück in die Stadt war mir einfach zu lang.«
»Es ist wirklich nicht nötig, dass Sie mich bewachen, Mr Redman. Ich sagte Ihnen doch, ich kann selbst auf mich aufpassen. Was essen Sie da?«
»Kaninchen.«
»Kaninchen?« Sarah rümpfte die Nase, aber ihr Magen knurrte. »Ich nehme an, Sie haben es auf meinem Grund und Boden gefangen?«
Nun war es also schon ihr Grund und Boden! »Kann sein.«
»Wenn das der Fall ist, könnten Sie mich ja wenigstens zum Essen einladen.«
Zuvorkommend riss Jake ein Stück Fleisch vom Spieß. »Hier, bitte.«
»Haben Sie kein … Na, egal.« Andere Länder, andere Sitten. Sie nahm Fleisch und Kaffee entgegen und setzte sich auf einen Felsbrocken.
»Haben Sie denn gestern Abend was zwischen die Zähne bekommen?«
»Ja, danke.« Nie, niemals im Leben, hatte sie etwas so Leckeres gegessen wie diesen Kaninchenbraten. »Sie sind ein ausgezeichneter Koch, Mr Redman.«
»Ich komme zurecht.« Er bot ihr noch ein Stück Fleisch an.
Diesmal zögerte sie nicht zuzugreifen. »Das schmeckt herrlich.« Da sie kaum annahm, dass er Servietten in seinen Satteltaschen mit sich führte, leckte sie sich die Finger ab.
»Jedenfalls besser als kalte Bohnen.«
Scharf blickte sie ihn an, aber er sah nicht einmal zu ihr hin. Sarah hatte noch nie in Gesellschaft eines Mannes gefrühstückt. So hielt sie eine leichte Plauderei für angebracht. »Sagen Sie, Mr Redman, was sind Sie von Beruf?«
»Hab nie drüber nachgedacht.«
»Aber Sie müssen doch irgendeine Arbeit haben?«
»Nein.« Er lehnte sich gegen einen Felsen, zog seinen Tabakbeutel heraus und drehte sich eine Zigarette. Frisch und sauber, dachte er. Man möchte meinen, sie hätte die Nacht in einem teuren Hotel und nicht in einer Lehmhütte verbracht.
Offenbar erforderte es einiges Geschick, über einem Kaninchenbratenfrühstück eine
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