Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
und täuschte brennendes Interesse an einem Artikel vor.
»Ja«, sagte Emma.
»Ich würde sie gern sehen, wenn Sie so nett wären«, sagte Lady Weston und streckte die Hand aus, als trüge Emma die Seite bei sich.
Phillip, der unbemerkt eingetreten war, mischte sich ein. »Warum willst du Miss Smallwoods Tagebuch sehen, Mutter?« Er lachte nervös. »Solche Dinge behalten junge Damen gern für sich, glaube ich. Sie sind nicht dafür gedacht, laut in einem Wohnzimmer vorgelesen zu werden.«
Lady Westons Lippen kräuselten sich. »Ich versichere dir, Phillip, ich habe keinerlei Interesse an Miss Smallwood privaten Gedanken. Aber Lizzie hat mir erzählt, die Seite sei mit einer Zeichnung darauf zurückgegeben worden. Keine sehr nette Zeichnung, hat sie gesagt. Und sie hat gemeint, ich sollte sie sehen.«
Phillip sah Emma an, seine Augen waren weit aufgerissen vor Sorge. »Stimmt das, Emma?«
»Ja. Aber ich hatte nicht die Absicht, sie jemandem zu zeigen.«
Er trat vor. »Aber wir müssen es wissen, wenn jemand, der unter unserem Dach wohnt, Ihr persönliches Eigentum beschädigt.«
Emma wand sich. Sie wollte nicht, dass Phillip Weston, und noch viel weniger, dass Lady Weston gerade diese Tagebuchseite sah. Sie sagte: »Es war nur ein harmloser Streich, da bin ich ganz sicher.«
»War es Henry, was meinen Sie?«, fragte Phillip.
Es überraschte sie nicht, dass er das annahm, denn Phillip wusste von Henrys berüchtigten Streichen im Smallwood-Pensionat.
»Das glaube ich nicht, nein. Ich beschuldige niemanden.«
»Zeigen Sie mir die Zeichnung, Miss Smallwood.« Lady Weston streckte abermals die Hand aus. »Ich kenne jeden hier im Haus sehr gut und weiß wahrscheinlich auf den ersten Blick, von wem die Zeichnung stammt.«
Phillip, der Emmas Unbehagen sah, fragte zögernd: »Die Zeichnung zeigt nicht etwa Sie selbst in … wie soll ich sagen, peinlichem Zustand? Wollen Sie sie uns deshalb nicht zeigen?«
Lady Weston wurde blass. »Du meine Güte, Phillip! Was ist das für ein Gedanke!«
»Aber nein«, beeilte sich die errötete Emma zu sagen. Ihre Wangen brannten. »Nichts dergleichen. Sie ist eher gewalttätig als peinlich.«
»Gewalttätig?«, fragte Phillip erschrocken und runzelte die Brauen. »Menschenskind, Emma. Jetzt mache ich mir aber wirklich Sorgen. Sie werden doch hoffentlich nicht bedroht?«
»Nein. Ich … ich bin ganz sicher, dass es weiter nichts zu bedeuten hat.«
»Also ich habe eine Gänsehaut davon gekriegt«, sagte Lizzie, leise, aber doch laut genug, dass es alle hörten.
Phillip sah das Mädchen finster an. »Wie kam es eigentlich, dass du Miss Smallwoods Tagebuch gesehen hast? Ich glaube kaum, dass sie es dir gezeigt hat.«
Lizzie ließ den Kopf sinken, doch Emma sah, wie sich dunkle Röte über ihr Gesicht ergoss. Es war das erste Mal, dass dieses Mädchen etwas zu bereuen schien.
Phillip sah sie ernst an. »Emma, ich fürchte, ich muss Sie bitten, mir das Bild zu zeigen. Ich verspreche, das, was Sie geschrieben haben, nicht zu lesen, wenn ich es vermeiden kann. Aber ich mache mir sonst zu große Sorgen um Sie. Bitte.«
Emma seufzte. »Na gut. Ich hole es.«
Ein paar Minuten später verließ Emma ihr Schlafzimmer mit der zusammengefalteten Tagebuchseite in der Hand. Als sie den Flur entlangging, merkte sie, dass sie feuchte Hände hatte. Sie wusste, dass Phillip zu seinem Wort stehen und den Text nicht lesen würde, zumindest nicht absichtlich – aber sie hatte keinen Grund, das Gleiche von Lady Weston zu erhoffen.
Vorn an der Treppe kam ihr Henry aus dem Nordflügel entgegen. »Miss Smallwood, Adam hat nach Ihnen gefragt.« Er klang beinahe verwundert. »Kommen Sie rasch mit und schauen kurz bei ihm rein?«
»Oh … das würde ich gern, aber ich kann im Moment nicht. Ich werde … im Wohnzimmer verlangt.«
Sein Kopf fuhr hoch. »Verlangt? Von wem?«
»Von Lady Weston. Und von Phillip.«
Er sah sie forschend an. »Ist alles in Ordnung? Sie wirken nicht besonders glücklich darüber. Im Gegenteil, Sie sehen aus, als seien Sie auf dem Weg zu Ihrer eigenen Hinrichtung.«
Sie seufzte. »Ich … ich wollte eigentlich niemandem etwas von dieser Zeichnung sagen. Aber Lizzie hat die fehlende Tagebuchseite gesehen und Lady Weston davon erzählt. Und jetzt soll ich sie vorzeigen.«
Er runzelte die Stirn in dem Versuch, ihrer komplizierten Erklärung zu folgen. »Sie haben die Seite gefunden?«
»Sie wurde mir zurückgegeben. Unter der Tür hindurchgeschoben.«
Seine Augen
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