Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
»Das geht dich nichts an – das ist es!«
»Sieht grässlich aus. Ich gestehe, dass Morva es mir gesagt hat und ich es selbst sehen wollte. Wirst du es Lady Weston zeigen?«
»Das hatte ich nicht vor, nein.«
»Aber das ist doch die fehlende Seite aus deinem Tagebuch, oder? Du hast sie also zurückbekommen.«
»Wie du siehst.«
In Lizzies Wangen erschienen die Grübchen. »Ich habe gelesen, was du über Henry und Phillip geschrieben hast. Sehr interessant, wirklich.«
Emma spürte, wie ihre eigenen Wangen in einem Aufwallen von Entrüstung und Verlegenheit ganz heiß wurden. »Du hättest es nicht lesen dürfen. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich in deinem privaten Tagebuch lese?«
»Ich führe keins«, antwortete Lizzie. »Ich bin nicht so dumm, meine Geheimnisse aufzuschreiben, sodass jedermann sie finden und mir einen Strick daraus drehen kann.«
Was hatte Lizzie wohl für Geheimnisse?, fragte sich Emma. Außer jenem, das sie ihr schon gestanden hatte – dass sie einen Weston liebte und mit einem jüngeren Weston eine Abmachung hatte.
»Weißt du, wer es herausgerissen hat?«, fragte Emma.
Lizzie sah sie scharf an. »Du etwa nicht?«
»Nein. Aber ich habe eine Idee.« Für sich selbst fügte Emma hinzu: mehrere Ideen, genau genommen.
»Meiner Ansicht nach liegt es auf der Hand«, sagte Lizzie.
Emma blinzelte. »Wirklich? Wen meinst du?«
Lizzie schüttelte den Kopf. »Oh nein. Ich werde niemanden beschuldigen. Nicht in diesem Haus. Ich sagte ja schon, so dumm bin ich nicht.«
Eigentlich wollte Emma Lizzie nach diesem Eindringen in ihre Privatsphäre nicht mehr ins Dorf begleiten, aber schließlich tat sie es doch. Sie ging mit, weil sie es ihr versprochen hatte und weil sie Lizzie faszinierend fand: ein Rätsel, das sie noch lösen musste. Sie hoffte, dass sie nicht nur mitging, weil sie sich verzweifelt nach Gesellschaft sehnte. Doch wie auch immer, im nächsten Augenblick lief sie auch schon neben Lizzie den steilen Pfad nach Ebford hinunter und lauschte dabei dem unaufhörlichen Geschnatter des Mädchens. Sie fragte sich, was Lizzie wohl über die Dinge dachte, die sie in ihrem Tagebuch gelesen hatte, und, schlimmer noch, ob sie es jemandem erzählen würde.
Als sie vor dem kleinen Hutmachergeschäft in der High Street standen, deutete Lizzie auf das begehrte Objekt im Schaufenster: eine kleine, kappenartige Haube, mit Bändern und Spitzen besetzt und mit einem Kranz von Rosen verziert. Emma rang sich ein paar bewundernde Worte für die ersehnte Haube ab und klagte mit Lizzie über ihren hohen Preis. Dann betrachteten sie noch etwa eine Stunde lang weitere Schaufenster und Läden, bevor sie sich auf den Rückweg machten.
Sie verließen Ebford auf einem steilen Pfad, der sich an der Rückseite der Cottages am Hafen entlangschlängelte. Dort stand Mr Teague in einem von Unkraut überwucherten Garten eines weißen, strohgedeckten Cottages, das ein wenig zurückgesetzt von den anderen stand und eindeutig das Hübscheste war.
Er nahm auf einem Klotz Fische aus, hielt jedoch in seiner Arbeit inne, um sie zu begrüßen. »Nun, was führt so feine Damen in unser bescheidenes Dorf?« Sein Ton war spöttisch, ja höhnisch.
Lizzie sah Emma an, dann hob sie das Kinn. »Ein bisschen Einkaufen, weiter nichts.«
»Noch mehr Nachforschungen, Miss?« Er grinste Emma unverschämt an. »Ich höre, Sie sind ganz angetan von Neuigkeiten. Und anderen Dingen, die Sie nichts angehen.«
Emma war plötzlich beklommen zumute. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte.
»Wir haben uns Hüte angesehen, wenn Sie es genau wissen wollen«, platzte Lizzie heraus und nahm Emmas Arm. »Komm«, zischte sie und zog sie schnell mit sich den Weg hinauf.
Emma schaute sich noch einmal nach dem Mann um.
Dieser erwiderte ihren Blick völlig unbeeindruckt und hieb dem Fisch den Kopf ab.
Später, am Abend, als Emma auf dem Weg ins Büro des Verwalters am Wohnzimmer vorüberging, rief Lady Weston sie zu sich.
Emma seufzte, setzte ein Lächeln auf und trat in das Zimmer. Auf dem Sofa saß Lizzie mit einer Zeitschrift in der Hand. Beide Damen, fiel ihr auf, waren bereits für das Abendessen gekleidet.
Lady Weston saß mitten im Zimmer auf einem hochlehnigen Armstuhl, ihre Haltung hätte jede Königin beschämt. »Miss Smallwood, Lizzie hat mir gesagt, dass Sie die fehlende Seite aus Ihrem Tagebuch zurückbekommen haben.«
Emma warf Lizzie einen überraschten Blick zu; diese beugte den Kopf tief über ihre Zeitschrift
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