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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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hatte, dass jemand nachts in ihr Zimmer geschlichen war. Sie sagte: »Ich glaube nicht, dass Adam mir etwas Böses will.«
    »Adam? Seit wann nennt die Tochter des Hauslehrers Adam Weston beim Vornamen?« Lady Westons Stimme hätte Milch zum Gerinnen gebracht. »Ich habe doch ganz klare Anweisungen gegeben, warum und inwiefern er abgesondert gehalten werden soll.«
    Oje . Jetzt war es passiert. Sie hatte ihre Besuche im verbotenen Nordflügel und damit auch Henry verraten.
    »Ich bin ihm nur ein paar Mal begegnet, Mylady«, beeilte Emma sich zu sagen. »Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich hatte nur Schreie gehört und ging nachschauen, was da los ist.«
    Lady Weston musterte sie eingehend; ihr Gesichtsausdruck blieb misstrauisch. »Und ausgehend von diesen kurzen Begegnungen behaupten also auch Sie, Expertin dafür zu sein, wessen er fähig istund wessen nicht? Und das, obwohl Sir Giles der Ansicht war, dass ihm keine andere Wahl blieb, als ihn wegzuschicken, um der Sicherheit der anderen Jungen willen? Aber Sie sind entschieden, dass er niemandem etwas antun kann? Sind Sie Wahrsagerin, Miss Smallwood? Sind Sie Gott?«
    Emmas Magen verkrampfte sich schmerzhaft. »Natürlich nicht. Ich wollte damit nicht sagen …«
    In diesem Augenblick kamen Sir Giles, Julian und Rowan herein; die drei lachten zusammen über irgendein Missgeschick, das einem von ihnen im Laufe des Tages zugestoßen war.
    »Du meine Güte«, meinte Rowan, als er die Versammlung sah, »was für eine Ansammlung trübsinniger Gesichter.«
    »Was ist denn los, meine Liebe?«, fragte Sir Giles seine Frau.
    Lady Weston deutete auf das Blatt, das Emma in der Hand hielt. »Irgendjemand hat eine hässliche Zeichnung auf einer Seite von Miss Smallwoods Tagebuch hinterlassen.«
    »Ach?« Sir Giles drehte sich um und sah Emma an. Sie tat ihm den Gefallen und hob das Blatt hoch, sodass er es sehen konnte.
    »Ich habe meine Lesebrille nicht dabei, aber wer von euch das auch gemalt hat, es ist nicht besonders gelungen.«
    »Gib bloß nicht Rowan die Schuld«, sagte Julian schnell, »nur weil er der Künstler unter uns ist und in seinem Zimmer Bilder hängen hat. Bei Adam habe ich Bilder von toten Soldaten und anderen grausamen Szenen gesehen, ich könnte mir gut vorstellen, dass es von ihm ist.«
    Bei dieser Äußerung tauschten die anderen vielsagende Blicke aus.
    Henry machte den Anschein, als wollte er sich erneut in einen Verteidigungsfeldzug für seinen älteren Bruder stürzen, doch in diesem Moment kam der Lakai herein und verkündete, dass das Dinner fertig sei.
    Emma, die es kaum noch erwarten konnte, das Zimmer zu verlassen, und die selbst schon spät dran war mit dem Essen, entschuldigte sich und ging eilends zu ihrem Vater und Mr Davies. Die Tagebuchseite nahm sie mit, sauber zusammengefaltet in ihrer Tasche.
    Beim Dinner fragte John Smallwood Mr Davies nach seiner Schulbildung.
    Mr Davies wischte sich den Mund mit einer Serviette ab, bevor er antwortete. »Das war alles nur Stückwerk. Meine Eltern schickten mich in eine Schule, die von einer armen, blinden Frau geleitet wurde, und danach zu einem Mann, der schon neunzig war. Lachen Sie nicht, das stimmt!«
    »Eine blinde Frau? Aber wie konnte sie Ihre Handschrift, Ihre Aufsätze beurteilen?«
    Der Verwalter wirkte ganz in die Erinnerung versunken. »Viel lautes Vorlesen. Und sie hatte ein Spülmädchen, das lesen konnte – die hat der Lehrerin hin und wieder unsere Arbeiten vorgelesen, und wehe dem Schüler, der dabei erwischt wurde, wie er etwas vorlas, das er nicht selbst geschrieben hatte.«
    Mr Davies bemerkte den skeptischen Blick ihres Vaters. »Sie schütteln den Kopf. Aber sie war immer noch doppelt so gut wie der alte Mann und sehr viel netter.«
    Emma beendete ihre Mahlzeit und entschuldigte sich dann, während die Männer ihr gutmütiges Duell über die vielen Arten der Erziehung und Ausbildung fortsetzten.
    Als sie durch die Halle ging, sah sie Henry, der gerade die Treppe hinaufstieg. Sie rief nach ihm. Er blieb stehen und wartete auf sie.
    Sie gingen zusammen weiter und im Vertrauen fragte sie ihn: »Glauben Sie, dass Lady Weston recht hat? Dass wir wirklich nicht wissen, wozu Adam fähig ist? So gutartig er auch wirkt, sein Verhalten ist ja doch ein wenig, nun, unberechenbar.«
    Henry sagte nichts, er schien nachzudenken.
    Emma fuhr fort: »Ich möchte es ja auch nicht glauben. Aber er hat kleine Hände, so wie der Handabdruck auf meinem Spiegel. Und er hat zugegeben, einen

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