Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
bei einem früheren Schiffsunglück am Strand standen.Ich war so hilflos, konnte nur zusehen. Das Einzige, was ich tun konnte, war beten.«
Er sah ihr in die Augen. »Sie haben gebetet?«
Sie nickte. »Ich habe gebetet, dass Sie am Leben bleiben.«
Und dann lag sie in seinen Armen, presste sich gegen seine durchnässte Brust, legte ihre Wange an seine Schulter. Er wusste, dass er sie eigentlich auf Armeslänge entfernt halten sollte – sie würde nass werden und sich den Tod holen. Doch stattdessen legte er seine freie Hand um ihre Taille, ihre so schmale Taille, und zog sie fest an sich.
Ein paar Herzschläge lang standen sie so da, ganz still. Er genoss ihre Wärme, ihre Nähe. Seine andere Hand lag noch immer auf Majors Hals. Es war eine seltsame Umarmung. Mann, Frau, Pferd. Dann drangen die Rufe der Umstehenden in sein Bewusstsein und vielleicht auch in ihres, denn sie richtete sich langsam auf und entzog sich ihm, hochrot vor Verlegenheit.
»Ich bin nur so froh, dass Sie am Leben sind«, murmelte sie entschuldigend mit gesenktem Kopf.
Er gestattete sich noch kurz, die Hand an ihrer Taille liegen zu lassen, genoss die tiefe, sanfte Kurve zwischen Rippen und Hüfte. Dann wurde ihm klar, dass er dieses Detail nur spüren konnte, weil sie keinen Mantel trug, sondern lediglich einen dünnen Umhang über ihrem Kleid.
»Emma, ich glaube, Sie sind völlig durchnässt. Es tut mir leid.«
»Leid?« Sie lachte leise. »Machen Sie sich nicht lächerlich! Sie haben die letzte halbe Stunde unter Wasser verbracht!«
War es nur so kurz gewesen? Ihm kam es vor wie Stunden. Er ließ sein Pferd los und seine Beine drohten erneut, unter ihm wegzuknicken, doch durch bloße Willenskraft blieb er auf den Füßen.
Er sagte: »Sie sollten lieber gehen und trockene Kleidung anziehen.«
»Sie auch!«
»Ja. Aber erst werde ich für diesen tapferen Helden sorgen.« Er klopfte Major den Hals.
Emma tat es ihm nach. Ihre Finger berührten sich kurz.
»Ein tapferer Held, wirklich«, flüsterte sie.
Und als Henry sie ansah, zog sich sein Herz zusammen, denn bei diesen Worten blickte sie nicht sein Pferd an, sondern ihn.
Sir Giles und ihr Vater kamen hinzu, machten einen großen Wirbel um Henry und löcherten den Wachtmeister, Mr Bray, mit Fragen. Sir Giles legte Henry seinen Mantel um die Schultern und ihr Vater, etwas verspätet, zog seinen ebenfalls aus und gab ihn ihr. Emma mied die Blicke der beiden Männer, sie war sehr verlegen. Gleichzeitig bemerkte sie in Sir Giles' Verhalten und auch in dem ihres Vaters keinerlei Anzeichen dafür, dass sie gesehen hatten, wie sie Henry umarmte.
Mr Bray fragte, was er mit den geretteten Männern tun solle. Henry schlug vor, sie in einem der Ebbingtoner Schuppen unterzubringen, die den Strand säumten. Sir Giles war einverstanden und versprach dem Wachtmeister, Essen und Decken bringen zu lassen. Mr Bray dankte den Westons für ihre Großzügigkeit und versprach, die Sache zu überwachen.
Während all diese Dinge besprochen wurden, sah Emma, wie ein paar Dorfbewohner sich zögernd näherten, die Situation abschätzend betrachteten – die geretteten Seeleute, den Wachtmeister, Sir Giles – und sich dann resigniert abwandten.
Derrick Teague lehnte in der Tür seines geweißelten Cottages und sah sie an. Das Grinsen auf seinem groben Gesicht sagte ihr, dass er die Umarmung gesehen hatte. Als Henry sich umdrehte, um zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, zog er sich ins Haus zurück.
Schließlich wurde der Eselkarren gerufen, um sie alle zurück zum Herrenhaus zu bringen. Henrys müdes Pferd ging am Zügel nebenher.
22
Nur vor dem zuweilen im Schatten liegenden Hintergrund der Eleganz der
Ober- und Mittelschicht wird das wirkliche Drama des Lebens in Cornwall –
rot von Blut, primitiv und kraftstrotzend – lebendig.
R. M. Barton, Life in Cornwall
in the Early Nineteenth Century
Auf dem Rückweg schwieg Emma. In ihrem Innern kämpfte jubelnde Freude mit Bestürzung. Sie hatte Henry Weston umarmt. Sie hatte Lizzie Henshaw geschlagen. Beide Handlungen waren völlig untypisch für sie. Was war nur über sie gekommen?
Zurück auf Ebbington Manor drängte Sir Giles Henry, sofort hineinzugehen, doch dieser weigerte sich; er wollte zuerst für sein Pferd sorgen. Sir Giles ging mit ihm zum Stall, entschlossen, den Stallknecht nach dem Arzt zu schicken, obwohl Henry versicherte, dass es ihm gut ginge.
Rowan und Julian kamen aus dem Haus gelaufen, rannten den beiden nach und
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