Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
nicht, wer wen zurückgehalten hat.«
Emma wandte sich an Julian: »Aber du weißt es! Du hast doch gesagt, dass Lizzie mich festhielt, weil sie die Rache der Strandräuber – oder wer immer den Turm zerstört hat – fürchtet, wenn wir Alarm schlagen.«
Julian blinzelte unschuldig. »Habe ich das gesagt? Das weiß ich gar nicht mehr.«
Panik überfiel Emma. Es gab nichts mehr, was sie sagen konnte. Nun stand ihr Wort gegen seines, beziehungsweise es stand drei gegen eins. Wenn doch nur Phillip dort gewesen wäre! Aber er war erst hinausgelaufen, nachdem sie die Glocke geläutet hatte.
Emma zwang sich, den Kopf hocherhoben zu halten. Sie hatte nichts Unrechtes getan, jedenfalls kein schreckliches Unrecht. Sie würde nicht wie eine überführte Missetäterin den Kopf senken, auch wenn Lady Weston und sogar Phillip sie eindeutig für eine solche hielten. Es war ganz deutlich, dass er Lizzies Unschuldsbeteuerungen glaubte. Die Ernüchterung und Enttäuschung in seinen Augen waren kaum auszuhalten.
Emma faltete die Hände, um ihr Zittern zu unterdrücken, und wartete darauf, dass Lady Weston ihr Urteil sprach. Dass sie sie und ihren armen Vater anwies, sofort zu packen und sich fortzuscheren.
Doch auf einmal mischte sich Sir Giles ein. »Das war zweifellos ein großes Missverständnis auf beiden Seiten, meine Lieben. Das Wichtigste ist, dass das Leben der Menschen gerettet wurde, dank Henry. Ich habe ihn hochgeschickt, damit er ein heißes Bad nimmt, und habe auch darauf bestanden, dass Dr. Morgan nach ihm sieht. Ich werde später mit ihm darüber reden; für heute hat er erst einmal genug durchgemacht. Wir werden alle weiteren Diskussionen über diese Sache auf morgen verschieben.«
Emma dachte, Lady Weston würde Einspruch erheben, doch sie sagte nichts, sondern machte nur eine wegwerfende Handbewegung in ihre Richtung und wandte den Kopf ab, als könnte sie ihren Anblick nicht länger ertragen.
Emma wusste, dass sie entlassen war. Sie drehte sich um und verließ das Zimmer mit dem Gefühl zahlreicher Augenpaare im Rücken. Es war fast Zeit zum Abendessen, doch sie hatte keinen Appetit. Sie ging hinauf, berichtete ihrem bekümmerten Vater von dem Gespräch und zog sich auf ihr Zimmer zurück. Um nachzudenken, sich mit Sorgen und Befürchtungen zu quälen und vielleicht … um zu beten.
Später am Abend, Emma lag bereits im Bett, war aber noch hellwach, klopfte es leise an ihrer Tür. Sofort verkrampfte sie sich. War es Lizzie, die kam, um sich zu rächen? Oder derjenige, der das Bild gemalt hatte, bereit, seine Drohung in die Tat umzusetzen?
Jetzt aber, Emma , rief sie sich selbst zur Ordnung. Wer immer damals in ihr Zimmer geschlichen war, hatte nicht vorher angeklopft.
Sie stieg aus dem Bett, zog ihren Hausmantel an und ging auf Zehenspitzen an die Tür.
»Wer ist da?«, fragte sie und verabscheute gleichzeitig die Angst in ihrer Stimme, ihre Schwäche. Sie drückte das Ohr an die Tür, um die Antwort zu hören.
»Henry.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Weston«, als wüsste sie nicht, welcher Henry er war, oder als sei er unsicher, in welcher formellen Beziehung sie zueinander standen. Es war fast albern, in diesem Moment auf die Etikette zu achten, nachdem sie vor wenigen Stunden völlig durchnässt in seinen Armen gelegen und sich an ihn gepresst hatte.
Was wollte er? Bestimmt nicht die Umarmung fortsetzen … Sie schluckte bei dem Gedanken.
Sie drückte die Türklinke herunter und öffnete die Tür. Er war, im Gegensatz zu ihr, vollständig bekleidet und hielt eine Kerze auf einem Zinnteller in der Hand.
»Es tut mir leid, Sie zu stören«, sagte er. »Haben Sie schon geschlafen?«
»Absolut nicht.«
»Das habe ich gehofft. Ich weiß, dass es sich nicht schickt, aber darf ich trotzdem reinkommen?« Er hob die freie Hand, die Handfläche ihr zugewandt. »Ich möchte nur einen Moment mit Ihnen reden.«
Erleichterung und törichte Enttäuschung mischten sich in ihrer Brust.
Sie nahm an, dass es kaum schlimmer war, ihn hereinzulassen, als wenn ihn jemand so spät abends vor ihrer Tür stehen sah. Vor allem war sie froh, ihm alles erklären zu können, nachdem sich anscheinend die ganze Welt gegen sie gewandt hatte. Würde er ihr glauben, auch wenn die anderen es offenbar nicht taten? Wie kam sie auf diesen Gedanken?
Sie nickte und öffnete die Tür. Er trat ein und sie schloss die Tür hinter ihm.
Sein Blick wanderte durch das Zimmer, dann sah er sie an. »Ist Ihr Zimmer immer so
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