Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
löcherten sie mit Fragen, was am Hafen geschehen war.
Emma betrat das Herrenhaus, durchnässt und völlig erschöpft. Sie schleppte sich durch die Halle und fürchtete die unausweichlichen Konfrontationen, die ihr bevorstanden. Ihr Vater folgte ihr, voller Sorge und Fragen.
»Bitte, Papa. Lass uns warten, bis wir oben allein sind und ich trockene Sachen angezogen habe.«
Zögernd erklärte er sich einverstanden.
Emma ging in ihr Zimmer und klingelte nach Morva. Sie fragte sich, ob die Diener wohl schon gehört hatten, dass sie Lizzie geschlagen hatte, und wenn ja, ob das Mädchen dann überhaupt kommenwürde. Während sie wartete, legte sie ihre Oberbekleidung ab und zog trockene Strümpfe an.
Ein paar Minuten später kam Morva herein. Sie warf noch einen Blick über die Schulter auf den Gang, bevor sie die Tür schloss. Dann wandte sie sich Emma zu und sagte ängstlich: »Lady Weston sagt, Sie sollen in einer halben Stunde im Salon sein.«
Emma nickte. Sie hatte mit einer derartigen Anordnung gerechnet. Beinahe erwartete sie, dass Morva wieder ging, ohne ihr zu helfen.
Doch das Mädchen trat vor, die Hände zusammengelegt, mit begierig leuchtenden Augen. »Ich darf nicht fragen, aber ich muss es wissen. Haben Sie Miss Henshaw wirklich geschlagen?«
Emma seufzte. »Ich fürchte, ja.« Und anscheinend hatte Lizzie keine Zeit verloren, es allen und jedem mitzuteilen.
Morva half ihr beim Umkleiden. Dann legte Emma sich einen Schal um die Schultern; sie war immer noch völlig durchgefroren. Als sie fertig war, ging sie zunächst zu ihrem Vater.
Sie erzählte ihm, was geschehen war – nun ja, nicht alles. Sie sagte nicht, dass sie Henry Weston umarmt hatte. Zum Glück schien er es tatsächlich nicht gesehen zu haben.
John Smallwood schüttelte ernst den Kopf. »Emma … ich bin schockiert. Hast du Miss Henshaw wirklich geschlagen?«
»Ja. Sie wollte mich nicht loslassen, und da hatte ich keine andere Wahl.«
»Aber einen anderen Menschen zu schlagen, Emma, einmal ganz abgesehen von der Provokation – ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es entspricht nicht deinem Stand. Eine Dame …«
»Dann bin ich vielleicht keine Dame, denn wenn ich noch einmal in eine solche Situation käme, würde ich es wieder tun.«
»Aber das Mündel unserer Gastgeberin? Ein Mädchen, das so viel jünger ist als du? Wirklich, Emma! Das war rücksichtslos. Und unklug.«
Sie blickte ihm ins Gesicht. »Papa, begreifst du denn nicht? Henry Weston hatte mir befohlen, die Glocke zu läuten. Alarm zu schlagen,damit die Leute im Hafen dem Schiff in Seenot zu Hilfe kommen. Und Lizzie hielt mich fest, um mich daran zu hindern. Was sollte ich denn tun?«
»Sie muss die Situation missverstanden haben. Oder auch dein Vorhaben. Du hättest mit ihr reden sollen, statt Zuflucht zu Gewalt zu nehmen.«
»Mit ihr reden – wie lange? Bis einer der Männer ertrunken wäre? Oder die halbe Mannschaft?«
»So weit wäre es bestimmt nicht gekommen.«
Emma sah ein, dass alles Argumentieren sinnlos war, schwieg und straffte die Schultern. »Ich muss jetzt nach unten. Lady Weston will mich sehen.«
»Entschuldige dich, meine Liebe – um unsertwillen.«
Emma seufzte. »Ich werde mein Bestes tun, Frieden zu schließen, falls das in meiner Macht steht.«
Sie verließ ihren Vater, ging die Treppe hinunter und betrat den Salon. Lady Westons Reich. Ihren Thronsaal, in dem sie als Richterin saß.
Im Raum verteilt war die Jury – Julian, Rowan, Phillip, Lizzie und Sir Giles. Wie sehr wünschte Emma sich, dass auch Henry anwesend wäre!
Als der Lakai hinter Emma die Tür geschlossen hatte, funkelte Lady Weston sie vollkommen entrüstet an. »Sie haben mein Mündel geschlagen? Ein Mädchen, das noch nicht einmal siebzehn ist?«
»Ja. Ich bin alles andere als stolz darauf. Aber sie wollte mich nicht loslassen und ich wusste mir nicht anders zu helfen.«
Lizzie sagte, Mitleid heischend: »Henry hatte zu mir gesagt, dass ich die Glocke läuten solle. Ich wollte hochklettern, aber dann hat sie mich festgehalten. Ich glaube, sie wollte es selbst tun, um Henry zu beeindrucken; sie ist ja ganz offensichtlich in ihn verliebt.«
Emma platzte empört heraus: »Das ist nicht wahr!«
Lady Weston hob eine Braue: »Was genau ist nicht wahr?«
Statt zu antworten, wandte Emma sich an Rowan: »Sie müssen doch gesehen haben, dass ich versucht habe, mich zu befreien!«
Rowan verzog das Gesicht. »Ich sah, dass Sie beide miteinander rangen, aber ich weiß
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