Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Angstlähmung zu reißen. Sie tupfte rasch den Fleck weg und räumte ihr Schreibwerkzeug sorgfältig beiseite. Danach zwang sie sich, ihre Kerze auszublasen und die Augen zu schließen.
Doch es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie einschlafen konnte.
Am nächsten Morgen stand Emma auf und wusch sich mit dem Rest kalten Wassers, das vom Vorabend noch in der Waschschüssel war. Dann zog sie sich an, so gut sie konnte, sah auf die Uhr und hoffte, dass das Hausmädchen bald käme, damit sie sich fertig ankleiden und den Tag früh beginnen konnte.
Schließlich kam Morva unter Entschuldigungen in ihr Zimmer geeilt. »Tut mir leid, Miss. Ich bin es noch nicht gewöhnt, zwei Damen zu bedienen, zusätzlich zu meinen anderen Pflichten.«
Morva half ihr, ihr langes Korsett zu schnüren und ihr Hauskleid auf dem Rücken zu schließen. »So, fertig. Noch etwas?«
»Frisches Wasser wäre schön, wenn du dazu kommst.«
»Oh, ja. Und nach dem Nachttopf muss ich auch noch gucken. Aber jetzt muss ich zuerst …« Den Rest von Morvas Satz hörte Emma nicht mehr; sie war schon zur Tür hinaus.
Emma betrachtete sich im Spiegel über dem Waschtisch. Großegrüne Augen in einem ovalen Gesicht. Blasse Wangen. Sie hatte ihre Haare auf dem Hinterkopf zu einem strengen Knoten aufgesteckt, doch ein leuchtend dunkelblonder Pony fiel ihr in die Stirn und über den Ohren ringelte sich jeweils eine einzelne Korkenzieherlocke. Sie wollte sich in die Wangen kneifen, um ein wenig Farbe in ihr Gesicht zu bringen, ließ die Hand jedoch auf halbem Weg wieder sinken. Sie musste gepflegt und kompetent wirken, um einen guten Eindruck auf ihre Schüler zu machen, darüber hinaus hatte sie keinen Grund, hübsch auszusehen.
Sie tadelte sich innerlich für ihre Anspannung und ihr Herzklopfen, und rief sich ins Gedächtnis, dass weder Phillip noch Henry Weston heute Morgen anwesend sein würden. Nicht, dass sie irgendwelche romantischen Vorstellungen in Bezug auf einen von ihnen hegte … aber es war natürlich trotzdem wünschenswert, mit dem Alter auch attraktiver geworden zu sein.
Ihr Vater war nicht in seinem Zimmer, als Emma zu ihm gehen wollte, deshalb stieg sie allein die Treppe hinunter. Auf dem ersten Treppenabsatz stand Lizzie Henshaw, die Arme weit ausgebreitet.
»Sehen Sie nur, ich bin ganz früh aufgestanden. Das ist sonst überhaupt nicht mein Fall! Ich habe Morva heute Morgen richtig ins Hetzen gebracht durch mein frühes Klingeln und dann musste sie auch noch nach Ihnen sehen. Aber es tut ihr gut, glaube ich, sie ist ein richtig freches Ding.«
Lizzie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Und warum bin ich heute Morgen wohl so früh aufgestanden? Weil ich überzeugt bin, dass Sie nicht einmal wissen, wo Sie frühstücken können. Habe ich recht?«
»Die Haushälterin hat vom Büro des Verwalters gesprochen, glaube ich.«
»Und wissen Sie etwa, wo das ist?«
Emma schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Dachte ich's mir doch.« Lizzie ergriff fröhlich ihren Arm und führte Emma durch die Halle. »Hier entlang.«
»Aber mein Vater …«
»Er hat bereits gefrühstückt, einen Spaziergang gemacht und sieht sich im Moment bestimmt das Schulzimmer an. Scheint ein Frühaufsteher zu sein, Ihr Papa.«
»Ja«, gab Emma zu, unangenehm berührt, dass sie an ihrem ersten Tag so spät aufgestanden war. Aber sie hatte wirklich sehr schlecht geschlafen.
»Lizzie, hast du letzte Nacht etwas gehört?«
»Was denn?«
»Ein komisches Wehklagen?«
Lizzie schüttelte den Kopf. »Vielleicht war es der Wind, der macht manchmal seltsame Geräusche. Julian sagt, es sei ein Geist, aber Lady Weston hat mir versichert, dass es nur der Wind ist.«
Sie fügte hinzu: »Ich weiß nicht, warum Lady W. darauf bestanden hat, Sie in diesem zugigen Zimmer, so weit weg von den anderen, unterzubringen …« Sie hielt mitten im Satz inne und packte Emma am Arm. »Das stimmt ja gar nicht. Ich weiß sehr wohl, warum. Es gefällt ihr nicht, dass Mr Smallwoods Tochter schon so erwachsen ist. Sie möchte keine unverheirateten Frauen in der Nähe ihrer Söhne haben, glaube ich. Gestern Abend hat sie zu mir gesagt: ›Wenigstens ist Miss Smallwood recht reizlos.‹« Lizzie sah Emma prüfend an und schüttelte den Kopf. »Aber ich finde Sie nicht reizlos. Ich finde Sie sehr hübsch, auf eine zurückhaltende Art.«
»D…danke«, murmelte Emma, verblüfft über die freimütige Rede und die unangenehmen Enthüllungen der jungen Frau.
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