Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Sie lächelte eigentlich fast immer, wobei ihre leicht schräg stehenden Eckzähne sichtbar wurden.
»Ja. Du hast ihn ganz knapp verpasst.« Emma stellte ihren Federhalter zurück.
Ihre Tante legte ihren Hut auf den Tisch und strich sich glättend übers Haar. Dabei fielen Emma ein paar silberne Strähnen inmitten des dichten Brauns auf, die offenbar dem rücksichtslosen Auszupfen entgangen waren.
Jane, die jüngere Schwester ihres Vaters – sie war sechs Jahre jünger als ihr Bruder – hatte nie geheiratet. Sie lebte im Haus neben ihnen, ihrem Elternhaus, und führte eine Schwestereinrichtung des Smallwood-Pensionats für Jungen – ein Mädchenpensionat.
Jane zog ihre Handschuhe aus. »Darf ich fragen, wo dein Vater ist?«
Emma schüttelte den Kopf. »Er ist seit dem Frühstück verschwunden.«
Tante Jane verzog bedauernd den Mund und schüttelte ebenfalls den Kopf.
Mrs Malloy, die langjährige Haushälterin und Köchin der Smallwoods, brachte das Teetablett herein. Sie schien nicht im Geringsten überrascht, Jane Smallwood zu sehen, im Gegenteil, es standen bereits drei Tassen auf dem Tablett.
»Du leistest mir doch hoffentlich Gesellschaft?«, fragte Emma höflich, wohl wissend, dass ihre Tante genau das vorgehabt hatte.
»Danke, gern, meine Liebe.«
Als hätte ihn der warme Dampf, der aus der Teekanne aufstieg, oder der Duft von Mrs Malloys Keksen herbeigelockt, ging plötzlich die Tür auf und Emmas Vater schlurfte herein, den Kopf gesenkt, die schmalen Lippen nach unten gezogen. Er wirkte sehr viel älter als seine achtundvierzig Jahre.
Mrs Malloy ging zu ihm, um ihm Hut und Schal abzunehmen, und schimpfte: »Mr Smallwood … Ihre Schuhe sehen ja fürchterlich aus! Und dann auch noch nasse Hosen! Sind Sie nach Hause geschwommen?«
»Verzeihen Sie mir, Mrs Malloy«, entgegnete er trocken. Seine blauen Augen blitzten ironisch auf. »Ich bin nicht in die Pfütze getreten, um Sie zu ärgern.« Er putzte seine Schuhe ab und sah zu seiner Tochter und seiner Schwester hinüber. »Komme ich noch rechtzeitig zum Tee?«
»Ja«, antwortete Emma. »Aber du hast Mr Sims verpasst.«
Ihr Vater blinzelte, überrascht und verärgert. »Ist er schon fort? Du meine Güte! Ich wollte mich eigentlich von ihm verabschieden. Ich hoffe, du hast ihm gesagt, wie dankbar ich für ihn bin, und ihm in meinem Namen alles Gute gewünscht?«
»Natürlich.«
Ihr Vater setzte sich und rieb sich die Hände. »Kalt heute. Und feucht.«
»Du hättest nicht so lange draußen bleiben dürfen, John«, sagte Jane. »Du holst dir noch den Tod.«
»Schön wär's«, murmelte er.
Tante und Nichte wechselten einen besorgten Blick.
Emma schenkte ihnen Tee in die Alltagstassen ein. Während desgemeinsamen Mahls aus heißem Tee, Brot, Käse und Keksen sprachen sie wenig. Ihr Vater nahm sich von allem, wie sie bemerkte, auch wenn sein Appetit nicht mehr so groß war wie früher.
Emma aß ein wenig Brot und Käse; die Kekse versagte sie sich, obwohl es ihre Lieblingskekse waren. Naschereien gestattete Emma sich nur an Weihnachten und an ihrem Geburtstag.
Sie nippte am Tee und setzte ihre Tasse wieder ab. »Papa«, begann sie, »ich habe eine Liste angelegt.«
»Noch eine? Was denn diesmal?«
Sie spürte ein kurzes Aufflackern von Ärger angesichts seines herablassenden Tons, antwortete jedoch ruhig: »Eine Liste dessen, was wir unternehmen könnten, um neue Schüler zu gewinnen.«
»Ach so.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als sei das Thema völlig belanglos.
Ihre Tante kam ihr zu Hilfe. »Und was hast du dir ausgedacht?«
Emma sah sie dankbar an. »Eine neue Anzeige in der Zeitung. Vielleicht weitere Anzeigen in anderen Zeitungen; das wäre allerdings teuer. Ein größeres Schild draußen vor dem Haus könnte vielleicht auch helfen, unser altes sieht schon ein wenig schäbig aus, fürchte ich. Außerdem bemerkt man es kaum, wenn man nicht gerade Ausschau danach hält.«
Tante Jane nickte. »Ja, ein gut sichtbares, gepflegtes Schild ist meiner Ansicht nach sehr wichtig.«
»Unser Schild erfüllt absolut seinen Zweck«, murmelte John Smallwood in seine Teetasse. »Schließlich ziehen Eltern nicht durch die Straßen auf der Suche nach einem Lehrer für ihr Kind.«
Emma dachte kurz nach, dann sagte sie: »Da hast du völlig recht, Papa. Wir müssen nicht die Aufmerksamkeit von Passanten wecken, sondern die der wohlhabenden Familien im größeren Umkreis.«
Seine Augen trübten sich, sein Mund wurde schlaff. »Ich habe
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