Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
ein schönes Gesicht, auch wenn das vielleicht nicht jeder so sah.
Jane hatte den Brief fast fertig gelesen und runzelte die Brauen. Dann sagte sie: »Er erwähnt seine Söhne, Henry und Phillip … ich erinnere mich an die beiden.«
Ja, ihre Tante war den Jungen oft begegnet – wenn sie zum Tee herüberkam oder wenn sie zusammen in die Kirche gingen und danach gemeinsam zu Mittag aßen, was oft der Fall gewesen war.
Jetzt sah sie Emma mit ihren schönen Augen an. »Ich glaube, den einen von den beiden hast du sehr gern gehabt.«
Emma spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Phillip und ich waren Freunde – das ist alles. Aber das ist Jahre her.«
Tante Jane schürzte die Lippen. »Was hat dein Vater gesagt?«
»Komischerweise schien ihm die Idee zu gefallen. Allerdings hat er die Entscheidung mir überlassen und ich habe absolut keine Lust, meine Sachen zu packen und von hier fortzugehen. Außerdem, was soll aus unserem Haus werden? Und aus unseren vielen Büchern?«
»Es wäre sicher nicht schwer, einen Mieter zu finden«, sagte Jane. »Und in eurer Abwesenheit kann ich ja auf das Haus achtgeben.«
Emma sah sie ungläubig an. Diese Reaktion hatte sie nicht erwartet. »Aber ich will doch gar nicht gehen.« Ihre Stimme war lauter geworden, ganz im Gegensatz zu ihrem sonst so gelassenen Tonfall.
Jane sagte: »Ich weiß, dass du viel über Cornwall gelesen hast. Und jetzt hast du die Gelegenheit, es dir selbst anzuschauen.«
»Du willst also, dass wir gehen?«
»Emma …« Janes Stirn legte sich erneut in Falten, ihre Augen sahen sie eindringlich an. »Es geht nicht darum, was ich will.«
»Aber …« Emma verzog das Gesicht. »Du hast es nie für nötig gehalten, von hier fortzugehen, hast dich nie auf ein unüberlegtes Abenteuer eingelassen und riskiert, einem Gentleman über den Weg zu laufen.«
Janes Blick schien sich in weite Ferne zu richten. »Vielleicht hätte ich das tun sollen.«
Emma war sprachlos. Sie überlegte, ob ihre Tante vielleicht an Mr Farley dachte, einen Bewunderer, den sie abgewiesen hatte, weil sie lieber Lehrerin hatte werden wollen. Emma war Mr Farley nie begegnet, aber ihre Tante hatte ihn ihr beschrieben und ihr den Brief zu lesen gegeben, den er ihr geschickt hatte.
Jane Smallwood legte Emma die Hand auf den Arm. »Du darfst mich nicht missverstehen, Emma. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Der Unterricht macht mir viel Freude. Trotzdem denke ich manchmal darüber nach, was ich verpasst habe. Wie mein Leben hätte sein können, wenn ich mich einmal in ein kleines Abenteuer gestürzt hätte.«
2
Edward Ferrars erhielt Privatunterricht im Haus von Pastor Mr Pratt in Longstaple in der Nähe von Plymouth …
Deirdre Le Faye, Jane Austen: The World of Her Novels
Emma schrieb an Sir Giles und nahm die Einladung, seine beiden jüngeren Söhne ein Jahr lang zu dem angebotenen Gehalt auf Ebbington Manor zu unterrichten, an.
Die Aussicht auf ihr neues Leben machte sie noch immer nervös, vor allem der Gedanke daran, wie Phillip und Henry Weston wohl reagierten, wenn sie erfuhren, dass sie, Emma, bei ihnen wohnen würde. Sie hoffte inständig, dass keiner von beiden sie für aufdringlich halten oder ein anderes Motiv dahinter vermuten könnte, als sie es tatsächlich hatte: Es war eine Gelegenheit für ihren Vater, seine Depressionen zu überwinden.
Zumindest hoffte sie, dass ihm der Wechsel guttun würde, ja, sie betete darum. Genau genommen allerdings betete Emma in letzter Zeit kaum noch. Sie war überzeugt, dass Gott aufgehört hatte, ihre Gebete zu erhören, deshalb hatte sie auch aufgehört, um etwas zu bitten. Sie hatte gelernt, vor allem seit dem Tod ihrer Mutter, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Wenn etwas zu tun war, musste sie es selbst tun. Hatte ihre jüngste Tat – die Anfrage an Sir Giles – das nicht erneut schlagend bewiesen?
Aus diesem Grund würde sie – so sehr sie innerlich davor zurückscheute – einfach, um ihre Finanzen in Ordnung zu bringen und vielleicht ihrem Vater neuen Lebensmut zu schenken, ihr ruhiges, geordnetes Leben aufgeben und zusammen mit ihrem Vater nach Cornwall gehen, um dort zwei Schüler zu unterrichten. Im Haus von Phillip und Henry Weston.
Schon beim bloßen Gedanken daran bekam Emma feuchte Hände.
Wie Tante Jane vorausgesagt hatte, war es nicht schwer gewesen, Mieter für das Haus zu finden. Jane war eingefallen, dass der Pfarrer nach einer nahe gelegenen Unterkunft für seine verheiratete Schwester suchte, deren
Weitere Kostenlose Bücher