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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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antwortete er: »Beides.«
    »Ich persönlich glaube, es ist weder das eine noch das andere«, sagte Henry. »Du musst deinen Abschluss machen, Phillip. Ein Weston gibt nicht einfach auf, wir beenden, was wir angefangen haben. Das hast du doch immer gesagt, oder, Vater?«
    »Habe ich das?« Sir Giles wirkte auf einmal bekümmert.
    Henry nickte und sagte leise: »Das hast du gesagt, als wir noch Jungen waren.«
    Sir Giles nickte unbestimmt.
    Erinnerte sein Vater sich wirklich nicht? Auf jeden Fall hatte er sich verändert, seit er und Phillip Kinder waren.
    Henry fragte: »Was sagt denn dein Tutor in Oxford dazu?«
    »Er wird die Sache mit dem Dekan klären, ganz bestimmt, wenn ich ihn darum bitte.«
    »Heißt das, du bist nach Hause gefahren, ohne den Dekan zu informieren?«
    Phillip warf die Hände hoch. »Es war eine spontane Idee. Und jetzt, wo ich hier bin, kann ich den Gedanken zurückzufahren nicht ertragen.«
    Sir Giles warf ein: »Soll denn das viele Geld, das ich in deine Ausbildung investiert habe, zum Fenster hinausgeworfen sein?«
    »Nein«, beharrte Phillip, doch ohne seinem Vater dabei in die Augen zu sehen.
    »Muss ich dich daran erinnern, Phillip, dass du nicht mein Ältester und Erbe bist? Ich werde dir helfen, wo ich kann, aber du brauchst einen Beruf.«
    »Nein, daran brauchst du mich nicht zu erinnern, Vater.«
    Henry und sein Vater wechselten über Phillips gebeugten Kopf einen bestürzten Blick.
    Sir Giles seufzte und erhob sich schwerfällig. »Genug davon für heute. Wir sind alle müde und am Ende; wenn wir jetzt fortfahren, kommt nur noch etwas dabei heraus, das wir später alle bereuen. Lassen wir's gut sein für heute. Ich schreibe an deinen Tutor und entschuldige dich bei ihm.«
    Henry platzte heraus: »Du solltest aber nicht für ihn lügen, Vater.«
    »Ich werde nicht lügen, Henry. Ich werde ihm die Wahrheit sagen. Dass wir familiäre Schwierigkeiten haben, die Phillips Anwesenheit zu Hause nötig machen.«
    »Familiäre Schwierigkeiten?«, wiederholte Phillip fragend.
    »Genau. Wenn ich es mir recht überlege, kann Phillip uns bei unserer Suche helfen. Vielleicht hat er mehr Erfolg als du.«
    Phillip blickte besorgt zu Henry hinüber. »Ich … ich helfe natürlich gern. Aber eigentlich ist Henry der beste Mann für diese Aufgabe.«
    »Das muss sich erst noch zeigen.«
    Henry wollte gerade protestieren, als es draußen vor dem Fenster blitzte; gleich darauf hörte man einen langen, rumpelnden Donner.Er sah seinen Vater an, konnte jedoch weder Sorge noch steigende Aufmerksamkeit in seinem Gesicht wahrnehmen. Mit einem lautlosen Seufzer stand er auf, entschuldigte sich und ging hinaus.

7

    Ein unerzog'nes, ungelehrtes Mädchen, darin beglückt, dass sie
noch nicht zu alt zum Lernen ist.
    William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig
    An diesem Abend saßen Emma und ihr Vater gemütlich mit Mr Davies bei Tee, Pudding und Kerzenlicht zusammen. Draußen rollte unablässig der Donner und der Regen klatschte heftig gegen das Fenster. Es hatte keinen Sinn hinaufzugehen und sich schlafen zu legen, ehe der Regen nicht nachgelassen hatte.
    Die beiden Männer sprachen über die jüngsten politischen Entwicklungen, ihre schmerzenden Knie und andere Themen, doch Emma hörte kaum zu. Hin und wieder nickte sie oder lächelte, wenn ihr Vater über etwas lachte, das der Verwalter sagte, um den Eindruck zu erwecken, sie verfolge das Gespräch, doch in Wirklichkeit waren ihre Gedanken bei Phillip Weston. Sie dachte daran, wie er sie angelächelt hatte, an das vertraute, neckische Funkeln in seinen Augen, als er sie »altes Mädchen« genannt hatte, als läge ihre Trennung nur wenige Tage und nicht fast drei Jahre zurück.
    Ihre Gedanken wanderten zurück in die Zeit, da Phillip bei ihnen gelebt hatte, zu einem ganz bestimmten Abend in Longstaple, an den sie sich noch heute bis ins Kleinste erinnerte. Ihre Mutter war zu irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung gegangen, ihr Vater hatte beschlossen, dem Pfarrer einen Besuch abzustatten …
    »Ich werde höchstens eine Stunde fort sein«, hatte ihr Vater gesagt und sich einen Schal um den Hals geschlungen. »Die Jungen sind mit einem Geografiespiel beschäftigt, das ich mir ausgedacht habe. Sie sollten eigentlich damit zu tun haben, solange ich fort bin, aber wennes Schwierigkeiten gibt, dann lauf zu Tante Jane hinüber. Sie weiß Bescheid, dass ich für ein Weilchen nicht zu Hause bin.«
    »Gut, Papa«, hatte Emma ruhig gesagt, als sei ihr das Ganze

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