Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
ausgerechnet ein solches Buch interessant fände.«
Als sie das sagte, erschien ein Grübchen in Janes Wange.
»Ich habe ihm dann erklärt, dass ich als Lehrerin an vielen Dingen Interesse habe. Er sagte, er sei in der Stadt, um seinen Cousin zubesuchen. Du kennst doch Mr Gilcrest, der die Schmiede gekauft hat?«
Emma nickte. »Flüchtig.«
»Mr Farley war gekommen, um ihm zu helfen, sie wieder in Schuss zu bringen. Wie auch immer, wir unterhielten uns ein Weilchen und mir nichts, dir nichts hatte ich Mr Farley zugesagt, mit ihm eine Tasse Tee zu trinken, bevor seine Kutsche abfuhr.« Janes Grübchen vertiefte sich. »Er bat den Gastwirt um eine Tasse Tee für sich und für seine ›gelehrte Kollegin‹.«
Emma bekam große Augen. »Was hat Mr Pruett dazu gesagt?«
»Kein Wort. Mr Farley war bei den Pruetts – und bei mehreren anderen Gästen des Hauses – offenbar bekannt und geachtet. Ich hatte keine Bedenken, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden.«
Emma rief aus: »Warum hast du mir denn nie davon erzählt?«
»Ich wollte nicht, dass du meinem Beispiel folgst und mit fremden Männern sprichst! In meinem Alter geht das, in deinem nicht.«
»Oh Tante Jane! Du bist doch nicht alt!«
Jane seufzte. »Wie wahr, ich habe mich wirklich nie jünger gefühlt als an jenem Tag. Oder interessanter. Mr Farley hat mir von seinen Porzellanmanufakturen erzählt; ich erzählte ihm von meiner Schule. Wir sprachen über unsere Lieblingsbücher … ich habe selten etwas so genossen. Als er ging, dachte ich, das wäre es nun gewesen. Doch eine Woche später bekam ich ein Paket – es war das Buch, das ich in der Buchhandlung durchgeblättert hatte.« Jane strich mit dem Finger über das Buch auf ihrem Nachttisch. »Ich wusste natürlich sofort, wer es geschickt hatte. Vielleicht hätte ich das Geschenk nicht annehmen dürfen, aber ich hatte einfach nicht das Herz, es zurückzuschicken.«
»Hast du ihn jemals wiedergesehen?«
»Ein Mal. Er ist zu Mr Gilcrests Hochzeit wiedergekommen. Mr Gilcrest hat Alice White geheiratet, wie du dich vielleicht erinnerst, und ich war zum Hochzeitsfrühstück eingeladen. Ich weiß nicht, ob Mr Farley die Einladung arrangiert hat oder nicht. Aber es war auf jeden Fall wunderschön, ihn wiederzusehen.«
Emma fragte neugierig: »Und dann hat er dir diesen Brief geschrieben und gefragt, ob er ganz formell bei dir vorsprechen darf?«
Jane nickte mit abwesendem Blick.
Emma sah auf das Datum des Briefs; er war über einen Monat alt. »Hast du ihm geantwortet?«
Jane schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Ihre Tante zuckte die Achseln, betrübt, aber ohne Bitterkeit. »Mr Farley lebt in Bodmin, Emma. Fast dreißig Meilen von hier. Es käme mir töricht vor, auch nur darüber nachzudenken, mein Leben zu entwurzeln, meine gut eingeführte Schule, meinen Broterwerb aufzugeben, nur um der bloßen Möglichkeit einer Romanze willen.«
Emma verzog das Gesicht und drückte eine Hand gegen ihre Stirn. Die Erinnerung an die überaus vernünftige Reaktion ihrer Tante auf den damaligen Liebesbrief veranlasste sie, auch den Brief an sie selbst realistisch zu betrachten. Sie hatte ganz bestimmt keinen geheimen Bewunderer. Der Brief war höchstwahrscheinlich ein Scherz, wenngleich ein schlechter.
Sie dachte daran, wie die Westons letzte Nacht in Erinnerungen an ihre Jungenstreiche geschwelgt hatten, und ihr Magen verkrampfte sich. Anscheinend hatte einer von ihnen beschlossen, sich über sie – die geborene alte Jungfer – lustig zu machen.
Nun fielen ihr die Schritte ein, die sie gestern Nacht vor ihrem Zimmer gehört hatte – da hatte derjenige den Brief wahrscheinlich unter der Tür durchgeschoben. Wer auch immer es gewesen war, er war auf dem Rückweg zu seinem Zimmer wahrscheinlich fast erstickt vor Lachen. Hatte Henry Weston ihr einen weiteren gefälschten Liebesbrief präsentiert, gleichsam eine Zugabe seines früheren Streichs? Oder war es einer seiner Brüder gewesen?
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie trat an den Schrank, legte sich einen leichten Schal um die Schultern und steckte ihn über der Brust mit einer alten Lilienbrosche fest, die ihrer Mutter gehört hatte. Die Brosche wollte sich nicht schließen lassen oder vielleicht lag es auch an ihren zitternden Fingern, jedenfalls zeigte ihre Uhr bereits zwei Minuten nach der vereinbarten Zeit, als sie endlich so weit war, nach unten zu gehen.
Wie sollte sie reagieren? Sie würde gar nichts tun. Sie würde es niemandem
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