Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
erzählen. Sie würde dieses Problem allein lösen, wie alle Probleme in ihrem Leben. Sie würde so tun, als sei nichts geschehen. Schließlich war ja auch gar nichts geschehen. Noch war kein Schaden angerichtet.
Emma sah sich kurz im Zimmer um, hob den Deckel ihrer Hutschachtel an und steckte den Brief unter den Hut, der darin lag. Dann rieb sie sich kurz die Hände, verließ das Zimmer und machte sich auf den Weg nach unten zum Frühstück.
Sie öffnete die Tür zum Frühstückszimmer und blieb stehen, um die Szene, die sich ihr bot, zu betrachten. Henry Weston, Sir Giles und ihr Vater saßen, in ein Gespräch vertieft, beim Kaffee, während der Lakai ihr benutztes Geschirr abräumte. Phillip stand am Buffet und stocherte mit einer silbernen Servierzange auf einer Platte mit Gebäck herum.
Er blickte auf. »Ah, Miss Smallwood. Guten Morgen.«
Als die anderen Herren das hörten, standen sie auf und sahen zu ihr hinüber. Verlegen neigte sie den Kopf und trat ein.
Die Herren nahmen wieder Platz und setzten ihr Gespräch fort. Phillip wartete, dass sie zu ihm ans Buffet kam; sein jungenhaftes Gesicht leuchtete erwartungsvoll. Emma, die an ihren morgendlichen Traum und an den Brief dachte, konnte ihm kaum in die Augen sehen.
»Und wie geht es Ihnen heute Morgen, Emma? Haben Sie auch so schlecht geschlafen wie ich? Ich habe jeden Windhauch gespürt, weil die Fenster so undicht sind, und außerdem hat jedes Mal das ganze Haus gewackelt, wenn sich einer seiner Bewohner im Bett umgedreht hat.«
Ausnahmsweise konnte sie sein amüsiertes Lächeln nicht erwidern. »Ich habe gut geschlafen, danke.«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu, als er ihren formellen Ton hörte, sagte jedoch nichts, sondern wandte sich wieder dem Brot und den Muffins zu.
Obwohl Emma schon fast überzeugt war, dass der Brief nicht aufrichtig gemeint war, wanderte ihr Blick doch immer wieder zu Phillip hinüber, während sie sich einen Teller nahm und ihn mit etwas Essbarem belud, ohne groß auf die Auswahl zu achten. Er wirkte eigentlich wie immer; sie konnte keine versteckten Botschaften in seinen Worten oder Blicken entdecken.
Er sah zu ihr hinüber – von ihrem Teller zu ihrem Gesicht und wieder zurück.
»Hungrig?«
Verdutzt schaute sie ebenfalls auf ihren Teller; zuerst war es, als blicke sie durch einen Nebel. Allmählich sah sie, was darauf lag, und erkannte darin zu ihrem Missfallen einen ganzen Berg verschiedener Würstchen. Ihre Wangen wurden heiß. »Meine Güte«, murmelte sie, »ich bin noch nicht so wach, wie ich dachte.«
Er musterte ihr besorgtes Gesicht. »Ist alles in Ordnung?«
»Hm? Oh ja! Alles in Ordnung! Es geht mir gut. Warum sollte es mir nicht gut gehen?«
Phillips Lippen verzogen sich zu einem unsicheren Lächeln. »Keine Ahnung! Sie sehen gut aus. Bestens. Tut mir leid, wenn ich etwas anderes angedeutet habe.«
Seine Augen funkelten. Er neckte sie. »Sie sehen gut aus. Bestens.« Was meinte er damit? War es ein versteckter Hinweis auf den Brief, auf die Komplimente über ihr Aussehen – ihre Augen und Lippen? Emma! , schalt sie sich im Stillen. Mach dich nicht lächerlich!
Phillip ging ans freie Ende des Tisches und zog ihr einen Stuhl heraus. Stumm trat sie zu ihm, leicht verlegen, weil sie sich so nahe zu ihm setzte. Sie merkte, dass Henry Weston sie ansah, und zwang sich, seinen Blick zu erwidern und höflich zu nicken. Dann wandte sie sich entschlossen ihrem Mahl zu.
Rowan und Julian kamen herein und Emma war erleichtert, dass die allgemeine Aufmerksamkeit sich ihnen zuwandte. Julian sah siean und verbeugte sich. Dann stieß er seinem Bruder den Ellbogen in die Seite und Rowan machte es ihm halbherzig nach.
Julian lächelte. »Guten Morgen, Miss Smallwood.«
Emma neigte den Kopf. »Julian. Rowan.«
»Euch auch guten Morgen«, sagte Phillip trocken.
»Oh, hallo Phillip«, sagte Julian mit Nachdruck.
Rowan stand bereits vor dem Buffet. Er war nicht nur mehrere Zentimeter größer als sein Zwillingsbruder, sondern auch gute fünf oder sechs Kilo schwerer. In letzter Zeit war er ziemlich gewachsen, hatte sie Lady Weston sagen hören, während sie Julian versicherte, dass er seinen Bruder bestimmt bald einholen würde.
Emma spürte, dass sie beobachtet wurde, blickte auf und sah, dass Henry Westons Blick von ihr zu Phillip und wieder zurückwanderte. Als sie seinen Blick festhielt, wandte er als Erster die Augen ab.
Plötzlich wünschte sie sich, dass Lizzie keine solche Langschläferin wäre.
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