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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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um den Schrei, der sich von ihren Lippen lösen wollte, zu unterdrücken …
    Ein lautes Knarren.
    Emmas Herz machte einen Satz. Sie saß da wie erstarrt und horchte. Draußen auf dem Flur vor ihrem Zimmer knarrte ein Dielenbrett. Es war einfach nur jemand, der auf dem Flur vorüberging, sagte sie sich.
    Aber … warum sollte jemand an ihrem Zimmer vorbeigehen? Es lag doch ganz am Ende des Gangs.
    Emma nahm ihre Chatelaine-Uhr vom Nachttisch und warf im Kerzenlicht einen Blick darauf. Elf Uhr. Zu spät für einen Diener, um noch bei der Arbeit zu sein und vielleicht den Boden zu wischen oder etwas Derartiges. Die Schritte gingen weiter, den Flur entlang, und verklangen dann.
    Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Buch. Wer immer es gewesen war, er war weg. Die Gefahr war überstanden.
    Gefahr? Wie töricht! Die Wahl ihres Lesestoffs war eindeutig unklug gewesen.
    Emma legte das Buch beiseite, schlug die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Die Neugier plagte sie. Sie warf ihren Morgenrock über und schlüpfte in die Pantoffeln. Bewaffnet mit ihrer immer noch brennenden Kerze, öffnete sie die Tür und lauschte. Leise war das Geräusch sich entfernender Schritte zu hören. Kurz entschlossen trat sie aus dem Zimmer, ließ die Tür offen und huschte auf Zehenspitzen den Flur entlang. Dabei versuchte sie, die vielen Augenpaare zu ignorieren, die ihr von den Porträts längst verstorbener Ahnen folgten. Sie ging am Zimmer ihres Vaters vorbeiund blieb oben am Treppenabsatz stehen. Da sie weder von oben noch von unten etwas hörte, ging sie weiter, an Türen vorüber, in deren Nähe sie sich noch nie getraut hatte.
    Sie kam ans Ende des Flurs, wo im rechten Winkel ein anderer Gang abzweigte – der Nordflügel, vor dem Lady Weston und Mrs Prowse sie gewarnt hatten.
    Mit klopfendem Herzen beugte Emma sich langsam vor und spähte um die Ecke. Sie hielt die Kerze auf Taillenhöhe, zu nervös, um sie hochzuhalten, ungewiss, was sie dabei sehen würde.
    Ganz hinten auf dem Gang sah sie den Rücken eines Mannes, der selbst eine Kerze trug. Als er nach der Klinke der letzten Tür auf dem Korridor griff, erhaschte sie im Kerzenlicht einen Blick auf sein Profil. Lockiges Haar, markante Nase, hohe Wangenknochen – eindeutig das Profil von Henry Weston. Was machte er dort? Sein Zimmer lag doch bestimmt nicht im Nordflügel.
    Er wandte den Kopf zu ihr um. Sie sprang zurück, aus seinem Blickfeld, und presste sich gegen die Wand. Hatte er ihr Licht gesehen? Kamen die Schritte jetzt auf sie zu? Sie drehte sich um und rannte auf Zehenspitzen, so schnell und leise sie konnte, zurück in ihr Zimmer. Hoffentlich unbemerkt.

    Früh am nächsten Morgen träumte Emma abermals von Phillip. Sie waren wieder in Longstaple, aber Phillip war zu alt, um noch Schüler bei ihrem Vater zu sein. Er stand in seiner jetzigen Gestalt im Wohnzimmer der Smallwoods – Kinn und Schultern männlich und breit, dichtes braunes Haar, perfekte Nase, die blauen Augen von früher … und sah sie bewundernd an. Die Zuneigung, die sie damals für ihn empfunden hatte, kehrte mit aller Macht zurück.
    Er trat näher und nahm sie in die Arme. Wie stark er jetzt war! Sein Blick war unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet, er sah sie voll und offen an, nichts war verborgen, nichts zu verbergen. Wärme und eine romantische Sehnsucht erfüllten sie. Ja, so fühlte es sich an, mitPhillip Weston zusammen zu sein. Es war so wunderschön, doch gleichzeitig war einem wehmütig zumute.
    Dann beugte er sich zu ihr hinüber. Sein Blick wurde vage, unkonzentriert, er schien an ihr vorbeizuschauen, als wollte er nicht sehen, wie sie reagierte, falls sie zögerte oder sich wehrte. Wenn er es nicht sah, brauchte er nicht darauf zu achten …
    Als sein Mund sich dem ihren näherte, dachte sie, sieht er denn nicht, wie viel älter ich bin? Dass ich kein kleines Mädchen mehr bin? Dass wir das nicht tun dürfen? Und doch wollte sie, dass er sie küsste, wollte seinen Mund auf ihren Lippen spüren.
    »Miss Smallwood?«
    Seine Lippen flüsterten dicht an ihrem Ohr.
    »Zeit aufzustehen, Miss.«
    Schhh. Nein. Ich will das nicht verpassen …
    Klick, klapper – die Läden wurden geöffnet. Emma stöhnte. Die Sonne fiel ins Zimmer und verscheuchte den Traum. Missmutig öffnete sie die Augen und sah gerade noch, wie Morva den letzten Fensterladen zurückschlug, an ihren Schrank trat und das nächste Kleid aus Emmas beschränkter, vorhersagbarer Garderobe hervorzog.
    Emma blieb

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