Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Sie fühlte sich schrecklich unwohl als einzige Frau in einem Zimmer mit sechs Männern. Eigentlich müsste sie daran gewöhnt sein; schließlich war sie in einem Haus voller Männer aufgewachsen. Aber damals hatte ihre Mutter noch gelebt und die Männer waren erst Jungen gewesen. Und keiner von ihnen hatte ihr als ein geheimer Bewunderer geschrieben – außer Henry Weston, der sich als der arme Milton Pugsworth ausgegeben hatte.
Nach dem Frühstück assistierte Emma ihrem Vater, der die Jungen bedeutsame Ereignisse des ersten Jahrhunderts abfragte. Sowohl Rowan als auch Julian schlugen sich ausgezeichnet – eine große Erleichterung für Emma und ihren Vater, ganz zu schweigen von den Jungen selbst. Anscheinend waren die Prüfungen an der Schule, die ihre Mutter für sie ausgesucht hatte, nicht immer ganz so gut gelaufen.
Später am Nachmittag machte Emma einen Spaziergang. Phillip kam ihr nachgelaufen. Emma freute sich, ermahnte sich aber, dass es lediglich eine nette Geste war und nichts weiter zu bedeuten hatte. Zusammen schlenderten sie durch den Garten. Emma bewundertedie großen alten Rhododendren, ganze Beete von Schlüsselblumen und Kamelienbüsche mit riesigen, dunkelrosa Blüten. Sie fragte Phillip nach den ihr unbekannten Pflanzen, doch er konnte auch nur ein paar benennen.
Sie gingen ein Weilchen schweigend nebeneinander her, dann begann sie vorsichtig: »Ich war überrascht zu hören, dass die Jungen auf eine andere Schule geschickt wurden. Ich dachte, Sie würden die Smallwoods vielleicht empfehlen.«
»Das habe ich doch auch! Und ob ich das habe! Aber Lady Weston hat beschlossen, sie nach Blundell zu schicken. Keine Ahnung, warum.«
Emma sagte: »Lizzie meinte, Lady Weston wollte, dass sie ›ein bewährtes, alteingesessenes Institut in dieser Gegend‹ besuchen.«
»Ich finde das ganz richtig. Lady Weston ist schließlich hier geboren und aufgewachsen, im Gegensatz zu unserem Vater.«
Emma erinnerte sich, was der rothaarige Mann gesagt hatte: dass Sir Giles von den Einheimischen noch immer nicht als einer der Ihren betrachtet wurde.
Sie fragte: »Wie lange waren die Jungen in Blundell?«
»Ich weiß nicht genau. Ich war damals nicht zu Hause. Drei oder vier Monate, glaube ich.«
Emma nickte. »Lizzie sagte, dass es ihnen in der Schule nicht gefiel. Irgendetwas über den Direktor und andere Schüler, die nicht nett zu ihnen waren.«
»Ja, so sagen sie. Der Direktor vertritt eine andere Version der Ereignisse, er hat von schlechtem Benehmen und Raufereien geredet.«
»Raufereien?«, wiederholte sie und dachte daran, wie Rowan zwischen Julian und Mr McShane getreten war.
»Ja, aber nageln Sie mich nicht darauf fest. Vater hat uns erzählt, es seien nicht wirklich Kämpfe gewesen. Und laut Julian hat Rowan ihn ohnehin nur verteidigen wollen.«
»Ob es wohl schwer ist, wenn man so viel kleiner ist als der Bruder?«
»Ja …«, überlegte Phillip, »das kann schon sein.«
Sprach er von sich und Henry? Henry war größer als er, das schon, aber der Unterschied war nicht so groß wie der zwischen Rowan und Julian.
Sie meinte: »Bestimmt besteht der Unterschied nur vorübergehend.«
Seine Augen blitzten auf. »Sie meinen, während der Unterschied zwischen Henry und mir bleibend ist?«
Sie sah ihn verwirrt an. »Das wollte ich ganz bestimmt nicht sagen.« Fühlte Phillip sich seinem älteren Bruder in irgendeiner Form unterlegen? Aber nein, das war unmöglich!
Er legte ihr spielerisch einen Finger unters Kinn. »Das hoffe ich doch! Ich dachte nämlich immer, dass Sie mich Henry vorziehen.«
Emmas Nerven erwachten zum Leben. Sie holte tief Luft und befahl sich, nicht mehr an den verfluchten Brief zu denken. Sie schluckte und antwortete diplomatisch: »Sie und ich stehen uns dem Alter nach so nahe, da ist es doch naheliegend, dass wir Freunde wurden, was man von Henry und mir nicht sagen kann.«
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und zwickte sie ins Kinn. »Genau das wollte ich hören.«
Emmas Herz machte einen kleinen Satz. Er war wirklich ausnehmend nett zu ihr. Aber nett genug, dass sie romantische Gefühle bei ihm annehmen durfte? Sie war nicht sicher. Sie wandte sich ab und sah über die Gartenmauer hinaus auf die grasbewachsene Landzunge, die sich bis zum Horizont erstreckte, wo das Land mit dem grüngrauen Meer verschmolz. »Gehen wir hinaus zum Küstenpfad?« Sie hob das Gesicht, um die warme Sommersonne auf der Haut zu genießen. »Es ist ein wundervoller Tag.«
Sie spürte
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