Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
lächelte und winkte. Sie ließ den Rothaarigen stehen und kam auf sie zugelaufen.
»Ich bin so froh, euch beide zu sehen. Ihr wart ja eine Ewigkeit fort.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Emma. »Hat der Mann dich belästigt?«
»Der? Du lieber Himmel, nein.« Sie winkte abwehrend mit der Hand. »Wir haben uns nur die Zeit vertrieben.«
Emma sah Henry an und bemerkte, wie seine Kinnlinie sich verhärtete. Vielleicht fand er es ebenfalls nicht richtig, dass Lizzie mit dem Mann gesprochen hatte.
Er fragte: »Was wollte Teague von dir?«
Lizzie sah ihn überrascht an. »Du kennst ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Und wenn auch nur die Hälfte dessen, was man sich über ihn erzählt, stimmt, weiß ich nicht … Aber ich sollte nicht schlecht über einen Mann reden, den ich kaum kenne.«
Lizzie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Genau das hast du gerade getan.«
»Du hast recht. Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Henry. »Gehen wir?«
Er bot Lizzie einen Arm, dann drehte er sich um und bot Emma den anderen. Gemeinsam machten sie sich auf den langen Weg den steilen Küstenpfad hinauf.
Als Henry an diesem Abend vor dem Essen bei seiner Familie im Salon erschien, wandte sich Lady Weston, die ein sehr tief ausgeschnittenes Abendkleid trug, welches einer jüngeren Frau besser gestanden hätte, zu ihm um und sah ihn scharf an.
»Ich muss schon sagen, ich war überrascht, dich heute Nachmittag Arm in Arm mit Miss Smallwood zu sehen. Von Phillip hätte ich so etwas vielleicht erwartet, so gern, wie er flirtet und seinen Charme spielen lässt. Aber von dir …? Du liebe Zeit!«
Henry runzelte die Stirn und blickte zu Phillip hinüber, der hinter Lady Weston saß.
Phillip hob seine Hände in einer hilflosen Geste, sagte aber nichts dazu.
Julian und Rowan grinsten sich vielsagend an.
Henry zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck und einem beiläufigen Ton und sagte: »Falls Sie zufällig aus dem Fenster geschaut haben, Mylady, haben Sie sicher gesehen, dass ich nicht nur Miss Smallwood, sondern auch Lizzie meinen Arm geboten hatte. Angesichts des Regens und des rutschigen Bodens hielt ich es für ein Gebot der Höflichkeit.«
Lizzie ergriff das Wort: »Das stimmt, Mylady. Henry hat uns beiden auf dem Rückweg von der Kapelle seinen Arm geboten, wie man es von einem Gentleman erwartet.«
Sir Giles ließ sein Glas sinken. »Von der Kapelle? Du meine Güte! Was habt ihr denn da unten gemacht?«
»Ich habe Miss Smallwood die Kapelle gezeigt. Sie wollte sie gern sehen.«
»Ja …« Lizzie nickte, offenbar ein wenig geistesabwesend. Henry fiel auf, dass sie verschwieg, nicht mit ihnen hineingegangen zu sein, und auch ihr Gespräch mit Derrick Teague blieb unerwähnt.
Phillip sagte: »Bist du sicher, dass das vernünftig war, Henry? Es ist nicht ungefährlich.«
»Es war absolut nichts Gefährliches daran. Ich habe natürlich zuvor auf der Gezeitentabelle nachgesehen.«
Sir Giles nickte und schwenkte den Brandy in seinem Glas. »Gut so, mein Junge. So war es richtig.«
Lady Weston lächelte dünn. »Wie auch immer, wir wollen nicht, dass Miss Smallwood einen bloßen Akt der Höflichkeit missversteht – ist das klar?«
Henry war versucht zu fragen, was sie in diesem Fall von Phillips Verhalten gegenüber Emma hielt, das noch wesentlich missverständlicher war, verbiss sich die Frage aber in letzter Sekunde.
Julian kannte keine solche Rücksicht. Er sagte: »Ich bin überrascht, dass du nichts zu Phillips Verhalten sagst, Mama. Er ist sehr viel freundlicher zu Miss Smallwood als Henry.«
»Natürlich bin ich das«, sagte Phillip. Und mit einem Blick auf Lady Westons missbilligendes Gesicht fügte er hinzu: »Wir sind alte Freunde.«
Lady Weston neigte den Kopf und antwortete, als hätte Phillip gar nichts gesagt. »Ich kann nicht sagen, dass ich eine Verbindung zwischen irgendeinem Weston und der Tochter des Hauslehrers gutheiße, aber für Henry, den ältesten Sohn, wäre sie mit Sicherheit am wenigsten schicklich.«
Henry verzog das Gesicht. »Ältesten … ach wirklich?«
Sir Giles räusperte sich. Der Lakai zog die Tür auf, verkündete, dass das Essen aufgetragen sei, und man ließ das Thema fallen.
Aber man würde es, wie Henry sehr gut wusste, nicht vergessen.
10
Lenke dein Leben und deine Gedanken, als könne die ganze Welt
das eine sehen und die anderen lesen.
Thomas Fuller, Schriftsteller und Prediger
aus dem siebzehnten Jahrhundert
Bevor Emma an diesem Abend die Kerze auf
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