Die Tochter des Kardinals
Und auf dem Höhepunkt der wilden Fahrt wurde sie ohnmächtig und sank vom Stuhl.
Giulia schien durch einen Traum zu schweben. Unter sich, als wäre sie ein Adler in kreisendem Fluge, sah sie das geliebte Kloster Santa Annunziata. Sie entdeckte die Schwestern Rossana, Liliana und Ada, die lachend mit Körben voller Pilze durch das Klostertor kamen. Und sie sah sich selbst mit einem Strauß Blumen, den sie für Mutter Rufina gepflückt hatte. Sie fühlte sich frei von allen Zwängen, voller Glück und auf das Beste behütet. Es war wunderschön. Sie lachte laut, während sie durch die warmen, sonnigen Lüfte dahinzog. Ein Eimer voll kalten Wassers holte sie zurück in die Wirklichkeit.
»Sie kommt zu sich«, sagte irgendeine unbekannte Stimme.
Blinzelnd schaute Giulia umher. Vor ihr stand ein Gardist mit einem leeren Eimer. Er reichte ihr die Hand und half ihr auf.
»Wir setzen die Verhandlung morgen fort«, sagte Castagna.
»Morgen?«, echote Carafa. »Die Angeklagte ist erwacht und durchaus in der Lage, die Verhandlung fortzusetzen.«
»Morgen!«, erwiderte Castagna und schlug mit dem Hammer auf den Tisch.
Wutentbrannt verschwand Carafa durch die Tür im hinteren Teil des Gerichtssaals.
Geller eilte herbei. »Schwester Giulia«, sagte er, »geht es Euch gut?«
»Es geht schon«, sagte Giulia. »Bringt mich zurück in die Engelsburg.«
Geller winkte seine Gardisten heran. Gemeinsam traten sie den Rückweg zur Engelsburg an.
Nachdem Giulia in ihr Verlies gesperrt war, schickte Geller seine Männer fort. Er selbst blieb vor der Tür stehen und schaute sie voller Kummer an. »Geht es Euch wirklich gut?«
Giulia nickte stumm.
»Ich habe gehört, was man Euch vorwirft«, sagte er, »und dass Ihr beharrlich schweigt. Aus welchem Grund? Es wäre ein Leichtes, die vorgebrachten Anschuldigungen zu entkräften.«
»Nein«, sagte Giulia, »das wäre es nicht. Ihr wisst das, Francesco.«
Geller wiegte den Kopf hin und her. »Ihr habt recht«, flüsterte er. »Aber Euer Schweigen könnte als Zeichen Eures schlechten Gewissens betrachtet werden. Warum im Namen des Herrn sprecht Ihr nicht?«
»Ich darf nicht, Francesco.«
Geller lachte verzweifelt auf. »Wer sollte es Euch verbieten, Schwester?«
Giulia sah zu Boden und schwieg.
»Ihr verheimlicht etwas«, sagte Geller. »Warum wollt Ihr es mir nicht sagen? Bedroht Euch jemand?«
»Ja«, hauchte Giulia.
»Wer ist es?«, fragte Geller. »Nennt mir den Namen und ich töte ihn, noch bevor die Sonne untergeht!«
»Ihr könnt ihn nicht töten, Francesco«, entgegnete Giulia. »Würde ich Euch seinen Namen nennen, wäre Euer Leben verwirkt. Und das Leben all derer, die ich liebe.« Sie holte tief Luft. »Ihr müsst mich vergessen, Francesco. Euch steht ein glückliches Leben bevor. Findet eine Frau, die Euch liebt so wie Ihr sie, gründet eine Familie und führt ein gutes Leben.«
Tränen traten in Gellers Augen. »Ihr seid die, die ich liebe. Euch allein gehört mein Herz.« Er zögerte, sein Gesicht erhellte sich. »Ich habe die Schlüssel zu diesem Verlies. Noch heute Nacht komme ich, Euch zu holen. Gemeinsam fliehen wir aus Rom, aus diesem ganzen gottverdammten Land. Wir könnten nach Frankreich gehen. Oder nach England. Die Kirche hat dort keinerlei Einfluss mehr. Wir bewirtschaften ein Stück Land. Fernab von allen Ungerechtigkeiten.«
Giulia trat an die Tür und ergriff Gellers Hände. »Gott allein weiß, wie sehr ich mir ein solches Leben wünsche, Francesco«, sagte sie. »Doch wenn ich mein Leben durch Flucht rette, werden andere das ihre verlieren.«
»Das kann nicht sein«, presste Geller hervor. »Das muss ein böser Traum sein. Bitte, sagt, dass Ihr mit mir flieht. Ich bitte Euch.« Mit jeder Silbe wurde seine Stimme verzagter.
Einem unbändigen Drang folgend, streckte Giulia ihre Arme durch die Gitterstäbe, nahm seinen Kopf in ihre Hände und zog ihn heran, bis ihre Lippen die seinen berührten. Überrascht zögerte Geller, dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und erwiderte den zärtlichen Kuss.
Nur langsam gelang es Giulia, sich von Geller zu lösen. »Versprecht mir eines«, flüsterte sie.
»Was immer Ihr wollt.«
»Seid bei meiner Hinrichtung nicht zugegen«, bat sie. »Behaltet mich so in Erinnerung wie in diesem Augenblick.«
Er sagte nichts. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Sanft streichelte er ihre Wange, die halb unter dem Schleier verborgen war. Seine Mund formte ein Lächeln, doch aus seinen Augen sprach die tiefe
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