Die Tochter des Kardinals
gewillt, weitere Geringschätzigkeiten durchgehen zu lassen. »Seid Ihr die Äbtissin hier?«, fragte sie.
»Nein«, gab Regina widerspenstig zurück. »Das ist Mutter Prudenzia.«
»Dann habt Ihr mich gefälligst mit ›Mutter‹ anzusprechen«, herrschte Rufina sie an. »Oder glaubt Ihr, die Nähe zum Heiligen Vater gewähre Euch eine Bevorzugung im Hause des Herrn?«
»Nein, Mutter«, sagte Regina kleinlaut. »Verzeiht mir.«
Rufina machte eine wegwerfende Handbewegung. »Also«, sagte sie, »wo hält sich Schwester Giulia auf?«
»Nun … Mutter«, stammelte Regina.
»Sprecht endlich!«
»Sie befindet sich vor der Römischen Rota, ehrwürdige Mutter«, erklärte Regina und sah betreten zu Boden.
Rufina glaubte, sich verhört zu haben. » Vor der Römischen Rota? Ihr meint gewiss, sie verrichtet ihren Dienst bei einer Verhandlung?«
»Nein«, entgegnete Regina. »Man macht ihr in diesem Augenblick den Prozess.«
Der Boden unter Rufinas Füßen schien zu schwanken. Giulia? Als Angeklagte vor der Rota? Das war unmöglich! »Welche Vergehen legt man ihr zur Last?«, wollte sie wissen.
»Ketzerei, Mutter«, antwortete Regina.
»Ketzerei?«, brach es aus Rufina hervor. »Ihr müsst Euch irren. Schwester Giulia ist nie und nimmer eine Ketzerin. Beim heiligen Kreuze unseres Heilands!« Sie fasste sich an die Brust.
»Es ist die Wahrheit, ehrwürdige Mutter«, sagte Regina, ohne dabei ein besonderes Maß an Mitgefühl in die Stimme zu legen.
Rufina wusste, wo die Räumlichkeiten der Römischen Rota im Petersdom lagen. Sie strafte Regina mit einem zornigen Blick und drängte sich wortlos an ihr vorbei.
Etwa zur gleichen Zeit stand Francesco Geller am oberen Punkt der Hauptfassade zwischen Heiligenfiguren und schaute über den Petersplatz. Zu beiden Seiten standen Gardisten, die den Platz von hier oben aus bewachten. Neben Geller befand sich sein Stellvertreter Johann. Auf dem Platz war alles ruhig. Einige Geistliche schlenderten ins Gespräch vertieft vorüber, eine Gruppe Nonnen überquerte ihn in aller Eile mit Körben voller Gemüse. Doch Geller nahm sie alle kaum wahr. Seine Gedanken waren im Gerichtssaal, wo Giulia in diesem Moment auf ihre Verurteilung wartete, und er konnte nichts tun, um ihr zu helfen. Verzweifelt trat er gegen den Standfuß einer Heiligenfigur.
»Ich sehe Euch, doch Ihr seid nicht hier, Capitano«, sagte Johann.
Mit einem Lächeln, das allein die Lippen formten, legte Geller Johann eine Hand auf die Schulter. »Du hast recht, alter Freund«, gab er zu.
»Glaubt Ihr wirklich, die Rota wird sie verurteilen, Capitano?«
»Ja, Johann«, sagte Geller. »Daran besteht kein Zweifel.«
»Aber wie ist dies Unrecht nur möglich?«, fragte Johann. »Ein jeder weiß, dass Schwester Giulia keine Ketzerin ist.«
»Wie lange bist du schon in Rom?«
»Seit acht Jahren, Capitano.«
»Dann solltest du wissen«, sagte Geller, »dass dies kein Ort ist, dem es darum geht, Gut von Böse zu scheiden, Johann.«
»Ja – doch …«, sagte Johann und stockte. Sein Blick glitt über den Petersplatz zu einer Staubwolke, die sich in der Ferne auftürmte. »Was ist das, Capitano?«
Geller folgte Johanns Blick. Die Staubwolke kam näher. Langsam erkannte er einige Einzelheiten. »Reiter!«, stieß er hervor.
»Reiter?«, wiederholte Johann. »Wenn Ihr recht habt, müssen das Hunderte oder gar Tausende sein, Capitano.«
»Alarmiert die gesamte Garde!«, rief Geller einem Soldaten zu. »Alle Männer sollen vor dem Petersdom Aufstellung nehmen. Schafft Kanonen und Musketen her. Eil dich!«
Der Gardist rannte davon.
»Wer zum Teufel nimmt sich die Dreistigkeit heraus, mit solch einem gewaltigen Heer auf den Vatikan zuzuhalten?«, flüsterte Geller.
»Wenn das ein Angriff auf den Heiligen Vater ist«, meinte Johann, »haben wir ihm mit unseren zweihundert Mann kaum etwas entgegenzusetzen.«
»Abwarten!«, zischte Geller. »Gehen wir hinunter.«
Sie verließen den oberen Teil der Fassade und stiegen über schmale dunkle Treppen hinab. Vor dem Petersdom hatten die Gardisten inzwischen Stellung bezogen. Zwischen ihnen glänzten die schwarzen Rohre der Kanonen. Es handelte sich um leichte, kleinkalibrige Geschütze, die von zwei Mann bewegt werden konnten.
Geller stellte sich hinter die Reihen seiner Gardisten. Er ließ sich ein Fernrohr geben und blickte hindurch. Durch die Linse entdeckte er die Reiter, die da schnell näher kamen – und er erkannte die Fahnen, die einige trugen. »Barone Roms!«,
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