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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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sich auf den glänzenden Marmorboden. Der Mann fiel nach vorne, und mit einem letzten Röcheln starb er.
    Anatol zögerte nicht. Mit einem Ruck zog er das Schwert aus der Wunde, öffnete die nächstgelegene Tür, sah, dass dahinter eine Abstellkammer lag, und schleifte den Toten dorthinein. Anschließend riss er ihm die Hosen vom Leib, um das Blut vom Boden zu wischen und sein Schwert zu säubern. Dann verließ er die Kammer wieder und lauschte.
    Die Zeit verging, und nichts geschah. Keine Wache, die nach dem verschollenen Kameraden suchte, keine Magd, die aus der Küche kam, um Vorräte heranzuschaffen, kein Diener, der den Palast säuberte, kein Geistlicher aus dem Gefolge des Papstes tauchte auf. Alles blieb still.
    Irgendwann kam eine junge Nonne weit hinten um die Ecke. Gemächlichen Schrittes kam sie näher. Ohne ihn zu beachten, ging sie vorbei. Gleich darauf verschwand sie in der Küche. Es dauerte nicht lange, und sie kam wieder heraus. In ihren Händen hielt sie ein schweres goldenes Tablett. Darauf befanden sich Brot, Käse, schwarze Oliven, ein gebratenes Hühnchen, Weintrauben sowie eine goldene Weinkaraffe und ein goldener Becher mit dem Wappen des Papstes. Die Hitze und die schwere Last trieben Schweißperlen auf das Gesicht der Nonne.
    Gerade wollte sie wieder an Anatol vorbeigehen, da rief dieser: »Halt!«
    Um ein Haar wäre ihr das Tablett vor Schreck aus den Händen gefallen. Verständnislos und ein wenig ängstlich sah sie den fremden Mann an.
    »Wo willst du damit hin?«, fragte er und deutete auf das beladene Tablett.
    »Das ist das Abendmahl für den Heiligen Vater«, antwortete sie. »Ich bringe es in seine Gemächer.«
    Anatol tat, als prüfe er das Essen. »Seit wann arbeitest du hier?«
    »Seit zwei Wochen.«
    »Aha«, entfuhr es Anatol. »Hat dir niemand gesagt, dass der Heilige Vater schwarze Oliven verabscheut? Nun?«
    »N-nein«, stammelte die Nonne. »Der Leibkoch Seiner Heiligkeit stellt die Mahlzeiten zusammen. Ich …«
    »Schweig!«, unterbrach Anatol sie. »Du bist es, die die Speisen reicht, nicht der Koch. Folglich unterliegt es deiner Verantwortung, was dem Heiligen Vater vorgesetzt wird und was nicht.« Er nahm die Schale mit den Oliven herunter. »Zurück damit in die Küche. Eil dich!«
    Zögernd sah sie von dem Tablett in ihren Händen zu der Schale, die Anatol vor ihr Gesicht hielt.
    Mit einer Hand griff Anatol unter das Tablett. »Gib schon her! Ich warte.«
    Flink griff sie nach der Olivenschale und eilte zurück in die Küche. Unterdessen handelte Anatol. Er griff mit der freien Hand in sein Wams. Schon hatte er das Fläschchen mit dem Schierlingssaft gegriffen. Mit den Zähnen zog er den Korken heraus. Dabei behielt er die Tür zur Küche im Blick. Er stellte das Fläschchen neben die Karaffe, öffnete deren Deckel und goss den Saft hinein. Nun noch schnell den Deckel zugeklappt, das Fläschchen zurück in das Wams gesteckt und ein unbeteiligtes Gesicht gemacht.
    Schon kehrte die Nonne zurück. Sie lächelte Anatol dankbar zu, nahm das Tablett aus dessen Händen und entfernte sich.
    Kaum war sie hinter einer Ecke verschwunden, ging Anatol vorsichtig hinter ihr her, sodass sie ihn nicht bemerkte. Noch immer war der Palast in gespenstische Stille gehüllt.
    Vor einem breiten zweiflügeligen Portal blieb sie stehen. Es war ganz mit rotem Samt bezogen und trug das goldene Wappen des Papstes. Vorsichtig stellte sie das Tablett neben sich auf den Boden und öffnete die Tür. Anschließend nahm sie das Tablett wieder hoch und betrat die Gemächer des Papstes. Die Tür ließ sie offen.
    Anatol schnellte vor. Er steckte den Kopf durch das halb geöffnete Portal und sah, wie die Nonne durch einen gewaltigen, pompös mit reich verzierten Stühlen, Sesseln und Liegen ausgestatteten Saal ging. Die Decke hatte die Form einer bunt bemalten Kuppel, an den Wänden hingen kostbare Wandteppiche und Gemälde, in goldenen und silbernen Vasen waren exotisch aussehende und duftende Blumen kunstvoll angeordnet.
    Zu seiner Linken entdeckte Anatol eine schmale Treppe, die zu einem Laufgang hinauf führte. Er schlüpfte durch das Portal und schlich die Treppe hoch. Der dicke Teppich schluckte jeden seiner Schritte. Hinter einer hüfthohen Balustrade konnte er sich gut verstecken und hatte trotzdem einen freien Blick auf das, was unter ihm vorging.
    Hinter der Brüstung verfolgte Anatol jede Bewegung der Nonne. Sie stellte das Tablett auf einen Tisch an der Wand. Schon schien es, als wolle sie

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