Die Tochter des Kardinals
Delphine kreuzten ihre Strahlen über einem reich verzierten Brunnen. Es roch nach Zitronen, Lorbeer und Harz.
Am Palasttor wartete dann die erste Bewährungsprobe auf ihn. Zwei Gardisten waren vor dem Eingang postiert. Anatol bemühte sich um einen militärischen Schritt: die Hellebarde über die rechte Schulter gelegt, mit dem anderen Arm weit nach hinten ausholend. Gerade als er an den Gardisten vorbeimarschieren wollte, kreuzten sie ihre Hellebarden.
»Wer da?«, fragte einer von ihnen.
Anatol hielt sich an Carafas Anweisungen. »Ein Freund«, antwortete er, ohne die beiden anzusehen.
»Wie lautet die Parole?«
»Helvetica«, sagte Anatol. Er wollte schon weitergehen, aber die Waffen blieben gekreuzt.
»Die Losung ist nicht richtig«, sagte der eine Gardist und beäugte Anatol argwöhnisch.
Anatol blickte ihn prüfend an. »Das ist die Parole, die Capitano Geller mir vor zwei Tagen gab.«
»Wer bist du überhaupt?«, fragte der zweite Gardist. »Ich kann mich nicht entsinnen, dich je zuvor hier gesehen zu haben.«
Anatol zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Mein Name ist Kaspar Morgenstern. Seit dem heutigen Tag bin ich Capitano Geller direkt unterstellt, um gewisse Sonderaufgaben für den Heiligen Vater zu erfüllen. Habt ihr Burschen weitere Fragen?« Er schaute von einem zum anderen. »Sollte das nicht der Fall sein, lasst mich auf der Stelle passieren.«
Unschlüssig sahen die beiden sich an. Schließlich nickte der eine. Sie hoben die Waffen und stellten sie neben sich.
Ohne noch ein Wort zu verlieren, durchschritt Anatol das Tor.
Plötzlich rief einer der Gardisten: »Halt!«
Wie angewurzelt blieb Anatol stehen. Schweiß trat auf seine Stirn. Langsam wandte er sich um.
»Die Parole«, sagte der Gardist. »Sie lautet: Sacra Custodia Pontificis .«
»Danke«, sagte Anatol und verschwand im Innern des Palastes. Der schwierigste Teil seines Vorhabens lag nun hinter ihm.
Durch einen breiten Gang, an dessen Wänden Gemälde längst verstorbener Päpste und Kardinäle hingen, gelangte er in eine große Halle. Hoch über ihm spannte sich eine mit Fresken bemalte Kuppel. In alle Himmelsrichtungen zweigten Gänge ab. Anatol wählte den, der nach Norden führte. Verstohlen betrachtete er seine Umgebung. Der von unzähligen Kerzen beleuchtete Gang war menschenleer, nur ein einzelner Diener schlich vorüber. Am Ende befand sich linker Hand eine unscheinbare Tür. Er öffnete, ohne anzuklopfen, und spähte hinein. Es war die Küche. Drei Köche und zwei Mägde bereiteten das Abendmahl für den Heiligen Vater zu, das er erst nach dem Abendgebet einzunehmen pflegte.
»Was gibt es da zu schnüffeln?«, fragte plötzlich eine barsche Stimme in Anatols Rücken. »Wie lautet die Parole?«
Anatol fuhr herum. Vor ihm stand ein riesenhafter Mann, ein bärbeißiger Kerl mit wilden langen Haaren und einem struppigen Bart. Er war gekleidet in der Uniform der Garde, trug jedoch keine Hellebarde. Folglich musste er einen höheren Rang als die beiden Wachen am Tor bekleiden. »Ich heiße Kaspar Morgenstern«, sagte Anatol. »Die Parole lautet: Sacra Custodia Pontificis. «
Der Gardist beugte sich zu ihm herunter und kniff die Augen zusammen. »Ich habe dich hier nie zuvor gesehen. Woher kommst du?«
»Aus Luzern«, log Anatol.
»Seit wann bist du in der Garde?«
»Seit zwei Jahren.«
»Seit zwei Jahren?«, echote der Gardist. »Dann müsste mir dein Gesicht bekannt sein.«
»Ich war seit über einem Jahr als Anwerber unterwegs.«
»Aha«, sagte der Gardist und fuhr sich nachdenklich durch den wilden Bart. »Und was treibst du nun hier?«
Anatol wiederholte die Geschichte, die er eben noch den Wachen aufgetischt hatte. Unmerklich näherte sich seine Hand dem Knauf seines Schwertes.
Noch immer unentschlossen, murmelte der Gardist: »Seltsam. Der Capitano hat dich mit keinem einzigen Wort erwähnt. Na, das lässt sich aufklären. Du kommst erst einmal mit mir.« Er drehte sich um und schritt davon.
Anatol folgte ihm. Mit jedem Schritt zog er das Schwert ein Stück weiter aus der Scheide. Nach sieben Schritten lag es schwer in seiner Hand, zum tödlichen Hieb bereit.
In diesem Augenblick blieb der Gardist stehen. Anatol sah, wie dieser sich anschickte, sich umzudrehen und den Mund zu öffnen. Mit beiden Händen hielt Anatol das Schwert fest in seinen Händen. Er hob es an und rammte es dem Gardisten mit aller Macht in den Nacken, sodass die Schneide vorne an der Kehle wieder austrat. Ein Blutschwall ergoss
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