Die Tochter des Kardinals
Kutsche und schlichen im Schutz der Häuser und ihrer Schatten auf den Palazzo zu.
»Die Hintertür«, sagte Fulvia und zog Giulia mit sich.
»Ob das Haus leer ist?«, fragte Giulia und sah an der dunklen Fassade hinauf.
»Gewiss sind Pozzis Diener daheim«, antwortete Fulvia. »Doch es brennt nirgendwo Licht. Vermutlich schlafen sie längst.«
Auf der Rückseite des Hauses lag der Garten. Ein großer, runder Brunnen tauchte vor ihnen auf, in dessen Mitte ein Putto thronte und unentwegt Wasser aus dem Mund spie. Es roch nach Akazien, Rosen und Lavendel. Es war kaum zu glauben, dass ein solcher Teufel an diesem wunderschönen Ort lebte.
Eine schmale Tür mit vergittertem Fenster führte aus dem Garten in das Innere des Palazzos. Fulvia steckte den größeren der beiden Schlüssel in das Schlüsselloch. Sanft drehte sie ihn – und das Schloss war mit einem leisen Knacken entriegelt.
»Jetzt müssen wir leise sein«, flüsterte Fulvia.
Auf Zehenspitzen betraten sie das Haus. Giulias Herz schlug wild. Sie glaubte, ganz Rom könnte es hören. Fulvia schien ihre Aufregung zu spüren und ergriff ihre Hand.
Offenbar befanden sie sich in der Küche. Der Duft von Gewürzen und Gebratenem lag in der Luft. In der Mitte erhob sich die Feuerstelle, und in Regalen ringsum warteten Töpfe und Pfannen darauf, dass man die erlesensten Speisen damit zubereitete.
Vorsichtig durchquerten die nächtlichen Eindringlinge die Küche. Kurz bevor sie die nächste Tür erreichten, geschah es: Fulvia trat gegen einen Eimer. Scheppernd und polternd schlug er gegen die Tür vor ihr. Giulia hielt den Atem an. Rasch liefen sie zurück zur Hintertür und warteten darauf, dass die Diener herbeigestürmt kamen und sie aufgriffen.
Doch nichts dergleichen geschah. Im Haus blieb es ruhig wie auf einem Totenacker. Fulvia gab Giulia ein Zeichen, und sie näherten sich erneut der Tür, die tiefer in den Palazzo hinein führte. Die Nonnen lauschten, dann öffneten sie die Tür und betraten einen langen Gang. Ihre Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und das schummerige Licht, das der Mond durch die Fenster warf, reichte aus, sodass sie Einzelheiten erkennen konnten.
An den Wänden hingen Gemälde, darunter standen kleine Tische mit süßlich duftenden Blumenbuketts. Rechts von ihnen zweigten vier Türen ab, links öffnete sich eine Treppe, die in die oberen Etagen führte.
Giulia und Fulvia gingen vorsichtig an der Wand entlang. Dabei klackten die Absätze ihrer Schuhe auf dem Marmorboden. Noch immer blieb es still im Haus. Keine Tür öffnete sich, kein Diener kam schreiend herbeigelaufen, um die Eindringlinge zu verjagen oder gar zu töten.
Sie erreichten die Treppe und gingen hinauf.
Oben erreichten sie eine Galerie und gelangten in eine Art Kreuzgang, wie er sich in Klöstern fand. Zu beiden Seiten des Ganges führten Türen in die dahinter liegenden Räumlichkeiten.
»Woher sollen wir wissen, hinter welcher Tür Pozzis Schlafgemach liegt?«
»Wir öffnen sie«, sagte Fulvia.
Giulia erschrak. »Und wenn dahinter die Diener schlafen?«
»Keine Angst«, sagte Fulvia, und ihre Stimme klang wie die einer fürsorglichen Mutter, die ihr kleines Kind beruhigt. »Die Diener der hohen Herren haben ihre Kammern in dem Teil des Hauses, das am weitesten von den Privatgemächern des Hausherrn entfernt liegt. Hier oben droht uns keinerlei Gefahr – wenn wir uns ruhig verhalten.«
Giulia nickte.
So öffneten sie jede einzelne Tür und blickten in die Zimmer dahinter. Auf diese Weise fanden sie die Bibliothek, das Ankleidezimmer, den Speisesaal, ein Zimmer voller Schuhe und eine Abstellkammer.
Nachdem sie um drei Seiten herum waren, sahen sie am Ende des Flures eine Wand. Nur noch drei Räume zweigten vor ihnen ab. Der erste war klein und leer. Im zweiten standen unzählige zugehängte Gemälde, goldene Statuetten und andere Kunstgegenstände auf dem Boden.
Vor dem dritten Raum holten sie tief Luft – dann öffneten sie. Sie sahen in das Zimmer und atmeten auf. Endlich hatten sie Pozzis Schlafgemach gefunden.
Im Innern brannte eine wuchtige Kerze auf einem kleinen Tisch langsam herunter und tauchte das Schlafgemach in sanftes Licht. Die vielen Puttenfigürchen verwirrten Giulia. Sie verliehen dem Zimmer einen unheimlichen, unwirklichen Charakter. Es war, als gehörte dieser Raum nicht zu der Welt ringsum, sondern in das abgründige Fantasiegemälde eines wahnsinnigen Künstlers.
Fulvia stieß einen erstickten Schrei aus.
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