Die Tochter des Kardinals
»Hier!«
Giulia trat näher, und nun entdeckte auch sie die schmiedeeiserne Truhe an der Wand, direkt neben einem Kabinett aus purem Elfenbein. Sie nahm die Schlüssel in ihre zittrigen Hände und steckte den kleineren von beiden in das Schloss der Truhe. Sie lächelte Fulvia zu und drehte den Schlüssel um. Es knackte vernehmlich. Dann griffen die Nonnen an den schweren Deckel und drückten ihn hoch.
Erwartungsvoll schauten sie hinein. Neben einigen kleinen Säcken mit Gold- und Silberstücken fand sich nichts weiter als ein Bündel Dokumente. Während Fulvia die Dokumente durchsuchte, schaute Giulia unter den Geldsäcken nach, ob sich nicht noch etwas finden ließ.
»Das ist es!«, stieß Fulvia hervor. Sie hielt zwei verschnürte Dokumente in Händen, auf denen das Siegel der spanischen Krone zu sehen war.
»Schau nach, was dort geschrieben steht«, sagte Giulia gespannt.
»Nicht jetzt«, sagte Fulvia. »Wir müssen fort von hier.«
Sie verstauten alles bis auf die beiden Dokumente in der Truhe und schlossen sie wieder ab. Dann verließen sie das Schlafgemach.
Unvorsichtig geworden, achteten sie nicht mehr darauf, leise zu sein. Sie waren nur noch zehn Schritte von der Küche entfernt, als plötzlich eine Tür aufging und ein gähnender Diener auf den Flur trat.
Giulia und Fulvia stießen gleichzeitig einen heiseren Schrei aus. Erst in diesem Augenblick bemerkte der Diener die beiden Eindringlinge. Mit einem wilden Schrei stürzte er sich auf sie und zerrte an den Papieren. Fulvia hielt mit aller Kraft dagegen. Giulia kam hinzu und versuchte, den Diener an den Schultern von Fulvia wegzureißen.
Plötzlich öffnete sich eine weitere Tür. Drei weitere Diener eilten schreiend herbei.
»Fort!«, rief Giulia. »Nur fort!«
»Aber die Dokumente!«, brüllte Fulvia zurück, sich noch immer gegen den Diener wehrend.
»Es hat keinen Sinn!«, schrie Giulia.
Fulvia sah sie an – und löste die Finger von den Papieren.
Der Diener verlor das Gleichgewicht und stürzte mit den Dokumenten zu Boden. Die anderen Männer waren bis auf wenige Schritte heran.
Giulia raffte ihr Kleid auf und stürmte hinter Fulvia durch die Küche und in den Garten. Hinter ihnen erklangen die Rufe der Diener.
Sie rannten um das Haus, auf die Straße und zur Kutsche hinüber. Noch während sie einstiegen, rief Fulvia dem Kutscher zu, er solle rasch zur Engelsburg zurückfahren.
Pozzis Diener waren zu langsam. Sie standen wild gestikulierend auf der Straße und riefen der Kutsche Flüche hinterher.
»Wir haben versagt«, raunte Giulia. Die Enttäuschung über den Misserfolg verdrängte die gerade eben ausgestandene Todesangst.
»Ja«, meinte Fulvia noch immer atemlos. »Doch wird sich eine andere Gelegenheit bieten, um Pozzi das Handwerk zu legen. Wir müssen nur abwarten.«
»Abwarten?«, echote Giulia. »Das Leben Seiner Heiligkeit ist in größter Gefahr. Wie lange können wir da noch warten?«
Fulvia antwortete nicht. Sie schaute aus dem Fenster auf die verwaisten Straßen und Gassen.
»Wie gehen wir jetzt vor?«, wollte Giulia wissen.
»Ich gebe Capitano Geller Pozzis Schlüssel und er gibt sie ihm zurück«, sagte Fulvia.
»Warum sich dieser Gefahr aussetzen?«, fragte Giulia weiter. »Unser Einbruch ist fehlgeschlagen. Die Diener werden ihrem Herrn davon berichten, sobald er wieder zurück ist. Folglich ist es müßig, unsere Tat zu vertuschen.«
»Mitnichten«, sagte Fulvia. »Erhält Pozzi die Schlüssel zurück, ohne von ihrem Verlust zu merken, weiß er nicht, wie wir in sein Haus gelangt sind.«
»Und wozu soll das gut sein?«
»Liebe Giulia«, seufzte Fulvia, »wenn er weiß, dass wir mit seinem Schlüssel in sein Haus gelangt sind, könnte er die Schlösser auswechseln.«
»Und?«
»Und wir kämen niemals mehr hinein«, erklärte Fulvia. »Doch möglicherweise müssen wir ein weiteres Mal in seinen Palazzo. Dafür habe ich die Abdrücke genommen.«
»Hm«, machte Giulia. Irgendetwas passte hier nicht zusammen. Nur was? »Der Kardinal ist nicht dumm. Weder an den Türen noch an den Fenstern sind Spuren eines gewaltsamen Eindringens zu finden. Und was ist mit der Truhe? Ist es nicht seltsam, dass sie mit einem Schlüssel geöffnet und nicht aufgebrochen wurde? Das muss Pozzi doch auffallen!«
»Nichts auf der Welt ist perfekt«, gab Fulvia zurück. »Wir können nur beten, dass Pozzi doch dümmer ist, als du vermutest.«
Nun war es Giulia, die tief seufzte.
Und schon erreichte die Kutsche den dunklen
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